Bibliothek früher und heute: Von der Bücherei zum "Dritten Ort"
Shownotes
InterviewpartnerInnen in dieser Folge:
- Marit Kunis-Michel, Direktorin
- Roman Rabe, Bibliothekarischer Fachdirektor (stellv. Amtsleiter)
- Marion Albrecht, Aus- und Fortbildung, Personal und Vertragscontroling
- Silke Zimmermann, Leitung Stadtteil-Bibliothek Pieschen
Individuelle Podcastfolgen einzelner InterviewpartnerInnen:
- Marit Kunis-Michels Leseempfehlung: "Unser allerbestes Jahr" von David Gilmour.
- Roman Rabes Leseempfehlung: "Jahrestage" von Uwe Johnson
- Marion Albrechts Leseempfehlung: "Die Prinzessinnen im Krautgarten" von Wulf Kirsten
Wikipedia-Eintrag zum Begriff "Dritter Ort".
Titelmusik:
"Please, Listen Carefully", Jahzzar
Eure Anekdoten und Erinnerungen an Bibliotheken von früher und heute, Kommentare und Anmerkungen zur Folge könnt Ihr hier loswerden: https://buecherrausch.podigee.io/s3e10-bibliothek-frueher-heute
Aufgenommen und produziert von Marcus Anhäuser, Dresden.
Mit freundlicher Unterstützung der Städtischen Bibliotheken Dresden.
Transkript anzeigen
00:00:00: Wir haben das Ende dieses Podcasts erreicht.
00:00:02: Und wenn ich eines gelernt habe, was die Welt der Bibliothek angeht, dann ist es sicher
00:00:07: das.
00:00:08: Meine Vorstellungen davon, was eine öffentliche Bibliothek ist, ist so komplett daneben, wie
00:00:14: sie nur sein kann.
00:00:15: Die Frage ist nur, habe ich einfach die falschen Vorstellungen gehabt oder hat sich die Bibliothekswelt
00:00:22: tatsächlich so massiv verändert in den letzten Jahrzehnten?
00:00:25: Um das herauszufinden, habe ich für diese Folge vier langgediente Mitarbeiterinnen
00:00:30: und Mitarbeiter in der Bibliothek besucht und sie befragt.
00:00:33: Wie war das früher?
00:00:35: Was war anders?
00:00:36: Was hat sich verändert?
00:00:38: Nach all den Gesprächen zeigt sich: Eine öffentliche Bibliothek von heute hat nicht mehr viel mit
00:00:45: den Büchereien von früher zu tun.
00:00:47: Und doch gibt es eine Konstante, die nach wie vor entscheidend ist und wohl auch immer
00:00:52: bleiben wird.
00:00:53: Und damit herzlich willkommen zur zehnten Folge der dritten Staffel des Bücherrausch-Podcasts
00:00:58: "Hinter den Kulissen".
00:00:59: Mein Name ist Marcus Anhäuser.
00:01:00: Please listen carefully.
00:01:01: *Musik* Die erste, die ich danach befragt habe, wie Bibliotheken sich über die Zeit verändert
00:01:17: haben, ist Marion Albrecht.
00:01:19: Ihr kennt sich schon aus der Episode über die Ausbildung an den Bibliotheken, denn sie
00:01:23: ist verantwortlich für diesen Bereich.
00:01:25: Die allerersten Erfahrungen mit Bibliotheken hat sie schon als kleines Mädchen in den
00:01:30: 70er Jahren gemacht.
00:01:32: "Die erste Bibliothek, die ich besucht habe, mit etwa vier, fünf Jahren vielleicht, war
00:01:38: eine ganz kleine Gemeindebibliothek und an die kann ich mich sehr gut erinnern, weil
00:01:42: Obwohl sie sehr klein war, erschien die mir wie so eine Art Tempel, ein Büchertempel.
00:01:49: Also ein ganz besonderer Raum, der besonders roch, nach Büchern natürlich, ein bisschen vielleicht auch nach Staub.
00:01:56: Aber diese Vielfalt und diese große weite Welt, die sich da erschlossen hat, das hat mir als Kind schon sehr, sehr gefallen."
00:02:03: In den Erinnerungen von Marit Kunis-Michel, der Direktorin der städtischen Bibliotheken und ihrem stellvertretenden Amtsleiter Roman Rabe,
00:02:11: hatte die erste Bibliothek, an die sie sich erinnern können, nur wenig Erhabenes und war eher funktional.
00:02:18: "Meine Erfahrung war, dass das ein Raum war, der roch schon mal so nach Büchern.
00:02:23: Man hat so einen spezifischen Geruch in der Nase, wenn man so an eine alte Bibliothek denkt.
00:02:29: Abgegriffene Bücher, ein bisschen abgestandene Luft.
00:02:34: Es war nicht besonders hell, so ein Raum voller Regale.
00:02:38: Hier und da ein Stuhl, wo man sich kurz hinsetzen konnte und entscheiden konnte,
00:02:42: nehme ich das oder das oder so.
00:02:43: Die Vieleser legten da mehr ab."
00:02:45: "Das war ein Bauhausgebäude, wo die Räume von vornherein als Bibliotheksräume geplant waren.
00:02:52: Und man hatte damals auch noch die Vorstellung, dass Bücher jetzt besonders geschützt werden müssen,
00:02:59: auch vor Sonnenlicht und hat deswegen keine normalen Fenster eingebaut, sondern nur oberhalb der Regale.
00:03:06: so eine flachen Fenster, die nie ermöglichten, dass man nach draußen gucken konnte.
00:03:11: Also dadurch kam natürlich kein direktes Sonnenlicht auf die Regale, aber alles, was dort ausgeliehen wurde,
00:03:17: war ja Verbrauchsliteratur und wurde eigentlich relativ kurzfristig wieder ausgesondert."
00:03:23: Bei genauer Betrachtung war auch Marion Albrechts erhabene Halle nur ein lieblos eingerichteter Raum,
00:03:30: um viele Bücher aufzubewahren.
00:03:32: "In dem Raum, und ich glaube, in vielen Bibliotheken zu dieser Zeit,
00:03:36: gab es einen hässlichen Linolium-Fußboden.
00:03:41: Es gab Gardinen, die waren allgegenwärtig,
00:03:45: aber die passten überhaupt nicht zu dem Raum
00:03:47: und die sahen auch nicht schön aus.
00:03:50: Irgendwelche Topfpflanzen, die ganz mühsam ihr Dasein fristeten
00:03:54: und es schwer hatten, zu überleben.
00:03:57: Und es herrschte vor allem sehr viel Ordnung.
00:03:59: Also da stand alles in Reihe und Glied und natürlich herrscht bei uns heute auch Ordnung.
00:04:05: Aber gerade wenn man in die Kinderbibliothek schaut, das ist doch was ganz anderes.
00:04:09: Es geht nicht darum, dass in erster Linie Ordnung herrschen soll, sondern dass die Kinder,
00:04:14: dass die Familien sich wohlfühlen, das ist viel wichtiger.
00:04:17: Und da kann auch mal Unordnung sein."
00:04:19: Das war damals in den 70er und 80er Jahren natürlich undenkbar.
00:04:23: Und für Ordnung sorgte eine Bibliothekarin, vielleicht sogar mit Dutt,
00:04:28: Die saß fast wie die Spinne im Netz an ihrem Pult, immer wieder zur Ruhe mahndend "psst"
00:04:35: und kein Weg führte an ihr vorbei.
00:04:37: "Und eine Bibliothekarin hinterm Tresen.
00:04:40: Und für mich war das eine ganz strenge Frau, natürlich trug die Brille und die stempelte
00:04:48: da auch immer eine Karte und ich war und bin eine Langsamleserin.
00:04:52: Ich erfreue mich zum Beispiel mitten in einem Text einen wunderbaren Satz und klappe dann
00:04:57: Ich schaue mir das Buch zu und freue mich erst mal einen halben Tag drüber.
00:05:00: Ich denke drüber nach.
00:05:02: Ich sage mal so, im Nachgang habe ich damals schon die Bibliothek gut finanziert mit Säumnisgebühren.
00:05:08: Und ist ja wieder zu spät abgegeben.
00:05:10: Und dann habe ich einen Anranzer gekriegt.
00:05:12: Also ja, es ist zu spät und das kostet so und so viel Pfennige damals noch."
00:05:15: "Das Verständnis der Bibliothekare dort muss zu der Zeit noch so gewesen sein,
00:05:20: dass man Nutzer, zumindest wenn die jetzt im Kinderalter waren,
00:05:24: jetzt nie alleine auf die Bücher losließ,
00:05:27: obwohl das ja eine Freilandbibliothek war und das auch möglich gewesen wäre.
00:05:30: Ich wollte unbedingt Jack London lesen,
00:05:32: die Bücher standen aber nie in dem Bereich Kinder.
00:05:34: Sobald ich den Bereich verließ, kam schon jemand
00:05:38: und hat mich da wieder quasi auf den Weg der Tugend zurückgeschickt.
00:05:42: Und ich habe immer wieder probiert, dort in dem Bereich bei den Erwachsenen
00:05:48: diese Jack London Bücher zu kriegen.
00:05:49: paar Mal umsonst, aber irgendwann eben dann auch erfolgreich. Und dieses Erleben, man
00:05:56: muss an den Vorgaben vorbei seine eigenen Lesenziele zu erreichen, da einiges auf sich
00:06:01: nehmen oder einige Risiken eingehen, das ist so meine Kindheitserinnerung aus der allerersten Zeit."
00:06:08: "Als Schulkind hatte ich manchmal so ein Erlebnis, wo man eben mitbekommen hat: "Ja, da musste
00:06:13: jemand was bezahlen." und die Bibliothekarin reagierte etwas streng. Dann habe ich auch
00:06:19: einmal einen Brief bekommen von der Bibliothek, weil ich eine ganze Weile nicht da war.
00:06:24: Damals war das so üblich, da hat man die Nutzer, Nutzerinnen, Kinder angeschrieben,
00:06:30: wenn sie lange nicht da waren.
00:06:31: Und dieser Brief war so gestaltet, auch sah aus wie handschriftlich, das war gedruckt,
00:06:35: aber sah aus wie ein handschriftlicher Brief an mich persönlich.
00:06:38: Und darin stand "Warum warst du denn so lange nicht da?"
00:06:42: Und wir haben viele neue Bücher, das war ganz, ganz nett gemeint.
00:06:45: Aber ich hatte dann so eine Angst, wieder hinzugehen und dachte,
00:06:48: die schimpfen mir jetzt vielleicht, weil ich so lange nicht da war.
00:06:51: Also das war schon sehr Respekt einflößend."
00:06:54: "Also die waren schon freundlich und nett, das kann man jetzt nicht anders sagen,
00:06:58: aber eben auch sehr konsequent da in ihren Vorstellungen.
00:07:02: In meiner Erinnerung waren es alles ältere Damen. *lacht*
00:07:06: Das stimmt bestimmt nicht, aber ich meine, als Kind nimmt man das natürlich dann auch noch anders wahr als jetzt."
00:07:13: "Zum Beispiel erzählte mir eine Freundin,
00:07:15: dass in ihrer Bibliothek es üblich war,
00:07:18: dass absolute Ordnung herrschen musste
00:07:21: und dass jedes Kind, wenn es in die Bibliothek kam,
00:07:24: ein Lineal in die Hand bekam.
00:07:26: Wenn man sich ein Buch aus dem Regal nahm,
00:07:28: hat man das Lineal reingesteckt,
00:07:30: damit auch ja das Buch wieder an die richtige Stelle kommt,
00:07:33: wenn man das Buch sich angeschaut hat.
00:07:35: Da herrschten schon sehr strenge Regeln,
00:07:38: die heute nicht mehr vorstellbar
00:07:40: und wahrscheinlich auch nicht mehr umsetzbar wären."
00:07:43: So einschüchtern so manche Erlebnisse waren für Marion Albrecht,
00:07:46: Marit Kunis-Michel und Roman Rabe:
00:07:48: Ihre frühen Bibliotheksbesuche waren prägend für ihr Leben.
00:07:52: "Auch wenn das vielleicht ein bisschen negativ klingt,
00:07:55: ich habe eigentlich insgesamt eine total positive Erfahrung
00:08:00: aus dieser Bibliotheksnutzung für mich.
00:08:03: Da hat sich eine Welt erschlossen,
00:08:05: die ich mir hätte anders nie erschließen können."
00:08:07: Das ist es wohl, das für sehr viele gilt,
00:08:09: die heute an einer Bibliothek arbeiten.
00:08:12: Auch wenn die Bücherei nicht so schön war oder die Bibliothekarinnen etwas streng erschienen,
00:08:18: es war der Beginn einer Liebe und Begeisterung für Bücher und Bibliotheken, die bis heute
00:08:23: anhält und auch die Zeit überstand, als man den Beruf noch erlernte.
00:08:27: Wie bei Silke Zimmermann, die in den 1980er Jahren ihre Ausbildung machte und seit über
00:08:32: 30 Jahren die Stadtteilbibliothek in Pieschen leitet.
00:08:35: Schon ihre Mutter arbeitete als Bibliothekarin.
00:08:38: "Die Ausbildung war natürlich auch völlig anders. Wir hatten zum Beispiel noch Schreibmaschinenunterricht.
00:08:45: Viel mehr, also Bibliografie und wirklich auch Literaturkunde, wo ich jetzt denke, ist alles mehr in die technische Richtung.
00:08:57: Bei uns war das, gut ich kann es ja sagen, das war 1983 bis 1985 habe ich da gelernt,
00:09:06: ist der Unterschied schon riesig zu jetzt, ganz einfach.
00:09:09: Das Verhältnis zwischen Ausbilder und Lehrlinge – hieß es damals –
00:09:15: war schon strenger.
00:09:18: Es waren schon mehr Respektpersonen und man hatte sich nicht so viel getraut.
00:09:23: Man war einfach der Lehrling.
00:09:28: Heute ist das schon sehr anders.
00:09:33: Die Jugendlichen von heute, das ist 35 Jahre her, ja natürlich,
00:09:37: sind so viel selbstbewusster und anspruchsvoller und fordernder,
00:09:44: als wir das damals waren, dass man das fast schon nicht mehr vergleichen kann.
00:09:49: Das ist auf der einen Seite, ja, schön, Jugend soll sich ja auch verändern,
00:09:55: aber auch anstrengender, auf alle Fälle."
00:09:59: Marion Albrecht erklärt uns,
00:10:01: was heute von den angehenden Mitarbeitenden gefordert wird.
00:10:05: Ein "Psst", das für Ruhe sorgt, gehört da ganz sicher nicht mehr dazu."
00:10:09: Das hat sich in den letzten 10 bis 20 Jahren sehr, sehr verändert.
00:10:13: Das beginnt schon damit, dass wir bei der Suche nach Nachwuchs
00:10:17: darauf achten müssen, dass das jemand ist,
00:10:20: der gern auf Menschen zugeht,
00:10:22: der Freude daran hat, sich vor eine Gruppe von Kindern zu stellen,
00:10:27: zu stellen, der gerne auch jemanden einfach anspricht: "Kann ich Ihnen helfen, was möchten
00:10:32: Sie gerne?"
00:10:33: Dass man nicht gerne einsam und allein im stillen Kämmerlein und in einer ganz stillen
00:10:39: Bibliothek sitzt.
00:10:40: Also da hat sich gerade die öffentliche Bibliothek völlig gewandelt.
00:10:44: Wenn ich in einer Bewerbung lese, ich wünsche mir einen ruhigen Arbeitsplatz und ich suche
00:10:49: die Ruhe in der Bibliothek, das ist das, was ich daran schätze.
00:10:53: So jemand hat bei uns nichts verloren.
00:10:55: Das ist leider so nicht mehr möglich."
00:10:58: "Das hat sich sehr gewandelt.
00:10:59: Veranstaltungen haben wir immer schon gemacht, auch zu DDR-Zeiten natürlich.
00:11:03: Aber dieses Ausmaß und dieses Drumherum mit dieser vielen Technik und digitale Technik
00:11:09: und Book-Slam, das sind halbe kleine Schauspielstücke, das ist schon sehr anders geworden.
00:11:16: Und wer in der Bibliothek arbeitet, darf nicht schüchtern sein.
00:11:21: Er muss auf die Leute zugehen können, er muss reden können, er muss sich mit vielen verschiedenen
00:11:28: Menschen arrangieren können.
00:11:30: Gibt ja auch nicht bloß nette Bibliotheksbesucher, sind auch schwierige Fälle dabei.
00:11:36: Man muss ruhig bleiben.
00:11:38: Es ist überhaupt nicht mehr "Psst, leise Bibliothek", sowas gibt es kaum noch."
00:11:42: Nicht, dass jetzt ein falscher Eindruck entsteht.
00:11:44: Im Laufe dieser Staffel haben wir ja viele Bereiche der Bibliothek kennengelernt.
00:11:49: Da haben Mitarbeiterinnen nicht überall mit Kunden zu tun.
00:11:52: Daher gibt's natürlich schon auch die ruhigeren Ecken,
00:11:55: erklärt mir Marit Kunis-Michel:
00:11:57: "In den städtischen Bibliotheken variiert das so an Arbeitsorten,
00:12:01: dass ich mir eigentlich meinen passenden Ort auch aussuchen kann.
00:12:03: Ich habe auch Hintergrundarbeit in Sachgebieten,
00:12:06: wo Bücher bearbeitet werden und und und.
00:12:09: Aber an der Front draußen und im Publikumsservice,
00:12:13: da habe ich die Mitarbeiterinnen, die gerne im Gespräch sind,
00:12:18: die sehr gerne im Kontakt mit Publikum sind und die auch Anregung da aufnehmen.
00:12:23: Die Idee von Bibliotheken mehr zu sein als ein Ort, wo man Bücher ausleit, also über
00:12:32: die Theke reicht und wieder über die Theke zurückbekommt.
00:12:37: Allein schon das, ich gebe es an der Theke ab und ich gucke da durch, ob das alles in
00:12:42: Ordnung ist und fragte mich vielleicht noch, ob mir das Buch gefallen hat.
00:12:45: Dabei habe ich das gar nicht lesen können, weil ich gar keine Zeit hatte.
00:12:49: Das hat sich ja alles total verändert.
00:12:51: Und die jungen Menschen kommen zu uns, weil wir so eine Aktion machen,
00:12:56: weil wir innovativ sind und weil Leben bei uns ist.
00:12:59: Und die sagen, ich war beim Kinderliteraturfestival mit meiner kleinen Schwester.
00:13:04: Und ich habe gehört, ihr engagiert euch für Nachhaltigkeit.
00:13:07: Und das mit den Veranstaltungen, das will ich auch machen.
00:13:10: Ich brauche natürlich auch Leute, die das Leben, die sich vor eine Gruppe hinstellen und sagen:
00:13:14: "So, jetzt erzähle ich euch mal eine Geschichte.
00:13:16: Und jetzt machen wir noch das und jenes dazu."
00:13:19: Die Menschen brauche ich als Mitarbeiterin und die habe ich."
00:13:22: Wie eine Bibliothekarin aus den 80er Jahren
00:13:25: wohl auf ihren Arbeitsplatz heute blicken würde?
00:13:28: Wäre sie den Anforderungen gewachsen?
00:13:30: Marion Albrecht und Roman Rabe sind da gar nicht so skeptisch,
00:13:34: wenn diese Mitarbeiterin aus der Vergangenheit
00:13:36: ein paar kleine Aspekte beachtet."
00:13:39: Ich glaube, sie wäre sehr erstaunt,
00:13:43: was Bibliothek heute sein kann.
00:13:45: Aber ich könnte mir vorstellen, sie würde sich auch sehr darüber freuen,
00:13:48: so ein Gewusel zu sehen.
00:13:50: So viele Menschen, die gerne und mit Begeisterung
00:13:53: und auch ganz selbstverständlich in die Bibliothek kommen.
00:13:56: Das wäre für sie auch eine große Freude, könnte ich mir vorstellen."
00:13:59: "Das ist ja nicht so, dass die Mitarbeiter von damals
00:14:02: kein Selbstbewusstsein gehabt hätten.
00:14:03: Also die würden dem schon standhalten.
00:14:05: Das, denke ich, würde nicht das Problem sein.
00:14:07: Nee.
00:14:08: Das würden die hinkriegen.
00:14:12: Ich meine, denen müsste sicherlich dann, also wenn sie jetzt nochmal arbeiten würden,
00:14:16: und nicht noch zu Besuch kämen, wenn sie nochmal arbeiten würden, dann müsste denen schon noch ein bisschen
00:14:21: diese Kundenorientierung beigebracht werden.
00:14:25: Das sicherlich.
00:14:27: Aber das ist mehr so der Ton, ncht das Inhaltliche.
00:14:33: Also eine Kundenorientierung im Sinne: "Ich will demjenigen jetzt helfen,
00:14:37: Ich will die Dienstleistung abliefern", die war damals auch da.
00:14:41: Aber wir waren an sich nicht so freundlich. *lacht*
00:14:45: Wir waren viel klarer und direkter. *lacht*
00:14:49: Der Wandel vollzog sich auf beiden Seiten des Tresens.
00:14:54: Auch das Publikum der Bibliothek hat sich verändert.
00:14:57: Bei den Nutzern ist es, das ist hundertprozentig so,
00:15:00: dass die anspruchsvoller geworden sind.
00:15:03: Also in jeder Richtung.
00:15:06: Selbstbewusster, anspruchsvoller.
00:15:09: Aber ja, ich sage immer, wenn Nutzer noch was von uns wollen,
00:15:16: und wenn sie viel von uns wollen, dann trauen sie uns auch viel zu.
00:15:19: Und das ist ja eigentlich auch eine positive Aussage.
00:15:23: Das zeugt ja auch davon, dass sie uns was zutrauen,
00:15:26: dass sie uns wichtig, also eine wichtige Einrichtung sehen.
00:15:29: Und auch jeder, der sich die Mühe macht, jetzt eine Kritik zu äußern
00:15:32: oder das sogar aufzuschreiben.
00:15:34: Ich bedanke mich immer zuerst dafür, dass er sich die Mühe gemacht hat, uns das mitzuteilen.
00:15:39: Wir können ja nur besser werden, wenn wir es erfahren."
00:15:41: Im Fall der Dresdner Bibliotheken und all den anderen Büchereien im Osten Deutschlands
00:15:46: kommt natürlich noch ein Aspekt hinzu, der das Verhältnis zu ihren Nutzerinnen und Nutzern
00:15:51: stärker verändert hat, als es vielleicht in westdeutschen Bibliotheken der Fall war.
00:15:56: Der Wechsel des politischen Systems.
00:15:58: Ich kann mich zu der DDR-Zeit, ich war da auch nicht in so einer zentralen Stelle, ich kann
00:16:02: Ich kann mich aber auch nie erinnern, dass wir solche Beschwerden hatten.
00:16:08: Das hat sich der Bürger damals nicht getraut, würde ich jetzt mal denken.
00:16:12: Also eine staatliche Stelle zu schreiben, wenn es nie ganz extrem war.
00:16:16: Natürlich war das Verhältnis zwischen Staat und Bürger ein anderes.
00:16:21: Und wir waren eine staatliche Einrichtung.
00:16:24: Und wir mussten uns vor dem Kunden nie rechtfertigen.
00:16:29: Heute beantworte ich ungefähr eine Beschwerde pro Woche,
00:16:33: die bis zu mir dringt, wo sich Nutzer massiv beschweren über irgendwas.
00:16:39: Aber wir müssen halt alles, was wir tun und was wir sagen,
00:16:45: auch rechtfertigen können.
00:16:47: Es ist nicht so selbstverständlich, dass, wenn da eine Beschwerde kommt,
00:16:51: wir die abtun können.
00:16:53: Wir geben auch Fehler zu.
00:16:56: Wir entschuldigen uns für Dinge, die jetzt nicht optimal gelaufen sind.
00:17:00: Das ist, ich denke mal, die Hälfte der Schreiben, die ich da beantworte, gehen so aus.
00:17:09: Dass wir sagen, okay, verstehen wir, das müssen wir anders machen.
00:17:16: Wir ändern auch Abläufe, wenn wir merken,
00:17:19: dass was immer wieder unrund läuft an bestimmten Stellen.
00:17:25: Klar?"
00:17:27: Der Aufwand, sich um die Kunden der Bibliothek zu kümmern,
00:17:30: ist wesentlich größer geworden.
00:17:32: Das merke ich in den Gesprächen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
00:17:36: Und wir Kunden können auch ganz schön nervig und anstrengend sein.
00:17:40: Aber alles in allem sieht Roman Rabe die ganze Entwicklung als Gewinn.
00:17:44: "Es ist auch viel Wohlwollen da und viel Respekt und Akzeptanz unserer Arbeit, die wir wahrnehmen.
00:17:53: Vielleicht werden wir jetzt auch viel weniger als so eine staatliche Institution wahrgenommen
00:18:01: und viel mehr als Individuen, die da eine Dienstleistung bringen.
00:18:09: Es ist auch angenehmer, auf Augenhöhe Position zu sein.
00:18:13: Also empfinde ich jedenfalls so, aus einer Machtposition heraus mit anderen zu kommunizieren,
00:18:20: ist zwar vielleicht manchmal führt zum schnelleren Ergebnis,
00:18:24: aber es hinterlässt eigentlich in einem selber immer einen unangenehmen Beigeschmack.
00:18:30: Das Leben ist viel angenehmer, wenn man mit Respekt so miteinander umgeht."
00:18:36: Außer dem Wandel der menschlichen Beziehungen zwischen Bibliothek und ihrem Publikum
00:18:41: gab es natürlich auch viele technische Neuerungen,
00:18:44: die die Arbeitswelt spürbar verändert haben.
00:18:47: Allen voran die Digitalisierung,
00:18:49: die den Kern der Bibliotheksarbeit massiv umkrempelte.
00:18:53: "Dann kam in den 90er Jahren natürlich die Computerausleihe,
00:18:57: was ein riesiger Fortschritt war,
00:19:00: weil man konnte dann auch erstmalig wirklich sofort sagen,
00:19:04: welches Buch wo war, wann es zurückkam,
00:19:08: ob es in einer anderen Bibliothek vorhanden war
00:19:10: Das war früher überhaupt nicht möglich.
00:19:12: Und das, glaube ich, war mit dieser Computerausleihe der größte Schritt für mich so in der Ausleihe und in der Arbeit,
00:19:20: was dann einen Fortschritt gebracht hat und was viel, viel besser war.
00:19:23: Wir haben ein viel umfassenderes Erschließungssystem.
00:19:27: Also die Möglichkeiten, auf was zu stoßen, was ein bisschen versteckt ist, sind viel leichter.
00:19:33: Wir benutzen Informationsmittel über den Katalog hinaus,
00:19:37: die waren damals völlig undenkbar."
00:19:39: "Und dann zehn Jahre später kam dann schon RFID, auch mit der Selbstausleihe von den
00:19:44: Nutzern, wo das System mehr oder weniger dasselbe war, nur dass die Nutzer jetzt Selbstverbucher
00:19:50: nutzen konnten.
00:19:51: Ja, da hatte man auch Bedenken, weil man hat ja sonst immer alles selbst gemacht und,
00:19:56: ich glaube auch, Bibliothekare oder Bibliotheksmitarbeiter sind auch sehr auf ihre Medien bedacht und
00:20:01: dass da kein anderer was kaputt macht und dass da nichts wegkommt.
00:20:05: Das aus der Hand zu geben, das war für uns, glaube ich, auch ein großer Schritt."
00:20:11: "Heißt natürlich auch, dass wir als Mitarbeiter in der Bibliothek jetzt nicht mehr an der Theke mit unserem Stammpublikum ins Gespräch kommen können.
00:20:20: 'Ja, jetzt weiß ich nicht mehr, wenn Frau Schmidt kommt und ich weiß ja gar nicht, ob ihr das Buch gefallen hat.
00:20:26: Und meist habe ich für Frau Schmidt schon mal ein Buch zurückgelegt, weil ich weiß ja, was die liest.'
00:20:30: Ja, immer über die Theke. Jetzt geht es nicht mehr über die Theke.
00:20:34: Hab' ich gesagt: 'Ja, steht einfach auf von eurem Platz an der Theke, geht zwischen die Regale.
00:20:39: Ihr seid da sowieso, ihr stellt ja Bücher ein.
00:20:42: Und wenn ihr da Frau Schmidt trefft, da kommt man genauso ins Gespräch."
00:20:45: Niemand wird einen davon hindern.
00:20:47: Wir haben einfach mal die Tische zwischen BesucherInnen und uns weggeräumt
00:20:52: und haben einen direkten Kontakt, den man haben kann."
00:20:55: Doch all die Möglichkeiten, die einem die digitalen Technologien liefern,
00:20:59: auch ihre Schattenseiten, die man vielleicht nur wahrnimmt, wenn man weiß, wie Arbeit in
00:21:04: den Bibliotheken einmal ausgesehen hat.
00:21:07: Junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wachsen in das vorhandene System hinein, sie kennen
00:21:12: es gar nicht anders.
00:21:13: Doch die altgedienten Bibliothekarinnen und Bibliothekare spüren eine grundlegende
00:21:18: Veränderung, die vielleicht nicht nur mit ihrem Älterwerden oder ihren Leitungsfunktionen,
00:21:24: die sie inzwischen innehaben, zu erklären sind.
00:21:26: "Ich habe das Gefühl, es war alles viel übersichtlicher.
00:21:31: Dadurch, dass die Kommunikation jetzt nicht so schnell laufen konnte
00:21:35: wie jetzt, und auch die Möglichkeiten, Dinge zu dokumentieren
00:21:40: und so abzulegen, dass man da jetzt auch schnell wieder drauf zugreifen kann,
00:21:46: dass die viel eingeschränkter waren, sah man sich auch gar nicht gezwungen
00:21:50: oder veranlasst, so viel zu kommunizieren und so viel abzulegen
00:21:55: und dann auch wieder rauszusuchen.
00:21:58: Der eigene Anspruch an Komplexität war geringer.
00:22:03: Und dadurch war das Leben irgendwie viel weniger abhängig von Technik.
00:22:10: Und man lebte irgendwie ruhiger."
00:22:14: "Man hat früher auch gearbeitet, den ganzen Tag.
00:22:17: Aber es war wirklich nicht so hektisch.
00:22:22: Ja, man hat so viel im Kopf, also die verschiedenen Projekte und mit Veranstaltungen, mit Künstlern,
00:22:29: alles organisieren, jetzt organisieren wir den Weihnachtsmarkt.
00:22:32: Man denkt schon so ein halbes Jahr weiter und das macht einen manchmal unzufrieden,
00:22:41: dass man es vielleicht nicht schafft.
00:22:42: Und wenn man es anderen erzählt, dann sagen die: 'Och ihr in der Bibliothek, ihr könnt doch
00:22:47: lesen' Und das.
00:22:48: und das gab es ja früher vor vielen Jahrzehnten Lesestunden für Bibliothekare,
00:22:53: wo man wirklich, aber das waren dann vielleicht wirklich 60er Jahre, 70er Jahre,
00:22:58: ich kenn's von meiner Mutter noch, also wo sie angefangen hat, da gab es wirklich pro Woche
00:23:03: wegen mir zwei Lesestunden, wo man sich einfach mit der Literatur beschäftigen konnte,
00:23:07: die man den anderen empfohlen hat. Man kann den Buchmarkt jetzt eh nicht mehr überschauen
00:23:12: oder alles kennen, aber man informiert sich in Kurzform, aber es gibt keine Zeit mehr dafür.
00:23:20: Gar nicht." Das Katalogisieren hatte früher durch das Lochkartensystem etwas sehr Handwerkliches,
00:23:26: das durch die digitalisierte Datenverarbeitung am Computerbildschirm völlig verschwunden ist.
00:23:32: Wie Silke Zimmermann mir am Beispiel erklärt: "Was uns sehr immer Spaß gemacht hat und was immer
00:23:36: was wir alle machen wollten, das Nadeln.
00:23:39: Die Lochkarten wurden mit einer großen Stricknadel durch die einzelnen Löcher gepiext
00:23:46: und da fielen immer am Anfang die Tausende raus, dann fielen die Hunderde raus, dann fielen die Zehen raus
00:23:51: und so konnte man diese Lochkarten, ohne die manuell zu sortieren, mit dem Nadeln wieder in die richtige Ordnung bringen
00:23:56: und sah natürlich auch, welche Nummer dabei fehlte."
00:23:59: "Das war fast was Kontemplatives, wenn man neue Katalogzettel einstellte oder alte aus dem Katalog zog,
00:24:05: wo das Buch jetzt nicht mehr da war. Jetzt tippt man schnell und hat innerhalb von
00:24:10: Sekunden das Ergebnis und ist schon unruhig. Wenn das System mal ein bisschen
00:24:14: langsam ist und einem nicht in Bruchteilen von Sekunden das Ergebnis ausspuckt,
00:24:19: dann wird man schon nervös. Wenn man das jetzt vergleichen würde, dann hätte man
00:24:25: damals mit diesen Katalogkarten ununterbrochen nervös sein müssen,
00:24:28: weil da so viel Zeit fraß. Aber das war ja selbstverständlich, die war eingeplant."
00:24:33: Klar ist, ohne Digitalisierung wäre all das, was die Bibliotheken heute in dieser Vielfalt
00:24:39: und im Umfang bieten, gar nicht möglich.
00:24:42: Roman Rabe und seine Kolleginnen wissen das zu schätzen, denn es kommt ihren Kundinnen
00:24:46: und Kunden zugute.
00:24:48: Aber er fragt sich, welchen Preis alle Beteiligten dafür zahlen.
00:24:52: "Wir sind natürlich unheimlich viel effektiver geworden.
00:24:55: Also wir haben fast das gleiche Personal wie damals.
00:24:59: Und wir hatten, ich habe es noch mal nachgeguckt, vor der Wende ungefähr 2000 Veranstaltungen im Jahr in allen Stadtteilbibliotheken.
00:25:07: Das meiste waren Bibliothekseinführungen. Wir sind jetzt vor Corona, betrachten wir mal die Zeit, bei über 5000.
00:25:17: Und wir haben kein bisschen mehr Personal. Die müssen alle entwickelt, vorbereitet, organisiert und durchgeführt werden.
00:25:27: Man könnte sicherlich noch eine ganze Menge anderer Dinge aufzählen, was wir inzwischen
00:25:34: tun, immer noch mit dem gleichen Personal, also mit der gleichen Personalmenge.
00:25:40: Man sieht einfach daran, dass die Effizienz natürlich enorm gewachsen ist.
00:25:47: Aber – ob das mehr Lebensqualität am Ende bedeutet, da wage ich ein bisschen dran zu zweifeln."
00:25:57: Wir sehen schon: Bibliothek hat sich in den letzten Jahrzehnten ganz grundlegend verändert.
00:26:04: In allen Bereichen.
00:26:06: Und jeder, der wie ich noch das alte Bild einer Bücherei als Abstellraum mit Regalen
00:26:12: und diesen typischen Geruch vor Augen und in der Nase hat, der sollte unbedingt mal wieder
00:26:18: eine Bibliothek besuchen.
00:26:19: Denn vor allem hat sich der Ort verändert.
00:26:23: Und damit sind nicht nur die Räumlichkeiten gemeint.
00:26:25: In der Podcastfolge über die Schulbibliotheken meinte eine Schülerin, sie fände ihre Schulbibliothek
00:26:32: "gemütlich".
00:26:33: Das wäre mir nie in den Sinn gekommen beim Gedanken an Bibliotheken.
00:26:38: Doch sie hat recht.
00:26:40: Bibliotheken sind gemütlich, schön und unglaublich vielfältig geworden.
00:26:44: Doch dieser völlige Wandel hat mit einer grundlegenden Veränderung der Vorstellung davon zu tun,
00:26:50: wozu eine Bibliothek eigentlich da ist. Welchen Zweck dieser Ort heute erfüllen will – und vielleicht auch muss.
00:26:58: "Warum wurde Bibliothek bis dato nur gedacht als Ort des Ausleihens und Zurückgebens?
00:27:04: Öffentliche Bibliothek, wissenschaftliche Bibliothek wurde immer gedacht als Lernort.
00:27:09: Und das haben sich öffentlichen Bibliotheken angenommen und haben auch über den Tellerrand geschaut.
00:27:14: Und wenn man in Richtung Skandinavien schaut oder nach Frankreich geht, da war schon immer eine andere Lernkultur.
00:27:20: Also, französische Studenten oder Schüler gehen immer nach der Schule erstmal in die Bibliothek und machen dort die Hausaufgaben und gehen dann nach Hause.
00:27:27: Diese Kultur gab es so hier in Deutschland nicht wirklich mit dem Bibliothek als Lernort.
00:27:34: Und als "Dritter Ort" nehme ich der Ort nach Schule oder Beruf, vor zu Hause.
00:27:43: Also wir haben das zu Hause als ersten Ort, als zweiten Ort den Arbeitsort oder der Lernort
00:27:48: und jetzt kommt der dritte Ort Bibliothek. Und der hat eine Bedeutung gewonnen,
00:27:53: genau dann als andere dritte Orte, wie zum Beispiel Jugendzentren, Seniorenzentren etc. pp.
00:28:01: von der Bildfläche auch verschwunden sind. Da ist ja auch ein Bedarf wieder
00:28:06: geweckt worden, da wo treffen sich Jugendliche, wenn es regnet und kalt ist.
00:28:10: In einer Mall, wo sie konsumieren müssen." "Ein Ort, der wirklich der Bevölkerung der
00:28:18: Stadt gehört, weil er von aus ihren Steuergeldern selbst erschaffen wird und
00:28:22: wo sie sich aufhalten können, treffen können und irgendwo eine
00:28:25: Identifikation auch mit der eigenen Gesellschaft, mit der eigenen Kommune
00:28:30: stattfinden kann. So was haben wir nur wenig. Also im Außenbereich vielleicht noch eher mit so Parks,
00:28:36: aber im Innenbereich, selbst die Kultureinrichtung, die städtischen, die haben eine bestimmte Funktion.
00:28:44: Da geht man hin, wenn eine Veranstaltung ist und dann wieder raus. Aber so einen freien Zugang, wo
00:28:50: man von früh bis abends halt sich aufhalten kann, so was gibt es kaum.
00:28:57: Aber es gibt ein Bedürfnis danach und das nehmen wir auch wahr, dass das wächst.
00:29:00: Das ist kein Phänomen für Dresden oder auch nicht nur für Deutschland.
00:29:04: Es ist eigentlich weltweit ein Trend da,
00:29:07: Bibliotheken zu so einer Art Nachbarschaftszentren
00:29:12: weiterzuentwickeln,
00:29:13: zumindest bestimmte Funktionen davon mit zu übernehmen."
00:29:17: "Wir haben uns andere Bibliotheken angeguckt,
00:29:19: wo ein Element immer wieder kam:
00:29:21: Das war ein Sessel oder ein Sofa.
00:29:23: Und da ging das so, das Denken los.
00:29:26: Warum haben wir eigentlich nur Holzstühle da drin stehen?
00:29:30: Und einen Schreibtisch.
00:29:32: Und ja, jemand der gelernt hat, kann sich doch auch gerne noch mal aufs Sofa setzen zum Entspannen.
00:29:38: Und wie toll wäre es, wenn wir noch ein Café dabei hätten.
00:29:41: Da kommt jemand einfach vorbei zum Zeitung lesen und Kaffee trinken.
00:29:46: Und dann schlendert er noch mal durch und nimmt sich eine CD mit, mit der letzten Aufnahme von der Philharmonie
00:29:51: und hört ein bisschen zu Hause Musik.
00:29:53: oder weil er Steuererklärungen machen muss, noch ein Steuerbuch."
00:29:57: Die Bibliothek wird für die Stadtgesellschaft so zu einem Wohnzimmer,
00:30:01: oder wie Marit Kunis-Michel es lieber beschreibt, zu einer Wohngemeinschaft.
00:30:06: Und in dieser WG findet sich neben all den anderen Gruppen
00:30:11: auch eine Gruppe von Menschen, die sonst in der Stadtgesellschaft kaum Beachtung findet
00:30:16: und für die die Bibliothek zunehmend wichtiger wird.
00:30:19: "Es gibt einen nicht geringen Anteil an Gesellschaft und Gemeinschaft,
00:30:23: die zu uns kommen, weil sie zu Hause vereinsamen, weil sie alleine sind,
00:30:29: weil sie kaum Kontakte haben und weil sie sich hier wohlfühlen, weil sie unter Menschen sind,
00:30:34: weil sie nicht gezwungen sind zu konsumieren.
00:30:37: Das ist ganz, ganz wichtig und die sind unter Menschen.
00:30:40: Die sind in einer Stadtgesellschaft integriert, in dem sie einfach da sind und lauschen können.
00:30:47: offenen Ohres und Auges sind. Und wenn wir dann geschlossen haben oder in eine längere Schließphase gehen, dann frage ich mich schon,
00:30:53: wo halten die sich dann auf? Wo beziehen sie dann ihre Information? Wo nutzen sie ihren Austausch?
00:31:01: Und da haben wir auch Corona-bedingt wirklich noch mal eine große Portion sozialer Funktion übernommen."
00:31:09: Bibliothek ist von einem Raum mit Bücherregalen zu einem Ort der Vielfalt geworden, wo man sich Medien aller Art ausleihen,
00:31:16: aber dort auch direkt genießen kann.
00:31:19: Es ist ein Lern- und ein Spielort geworden,
00:31:22: ein Ort des Austauschs der Bürgerinnen und Bürger der Stadt,
00:31:25: ein Ort für Hobbys wie Schach oder Handarbeit,
00:31:28: ein Ort für Musik, Natur und Bildung, Wissenschaft und Politik.
00:31:33: Aus dem Ort für Bücher ist ein Ort für Menschen geworden.
00:31:38: "Aber ja, es ist dieser Ort,
00:31:40: und es ist für viele auch eben wirklich das zweite Zuhause geworden.
00:31:44: Jeder kann diesen Raum nutzen, ohne Mitglied zu sein.
00:31:48: Das ist etwas, was ich auch so wie missionarisch fast,
00:31:51: Einfach sage ich: Geht rein, guckt euch das an.
00:31:54: Niemand fragt, bist du Mitglied? Hast du einen Ausweis?
00:31:57: Hast du Gebühren vielleicht noch, die du bezahlen solltest?
00:31:59: Sondern erfahrt den Raum, macht ihn euch zu Nutze.
00:32:03: Und wenn es euch gefällt und wenn ihr sagt, ich bin jetzt öfter hier,
00:32:06: dann ist es in der Form der Wertschätzung, sich anzumelden."
00:32:10: Und trotz all der Vielfalt an Möglichkeiten,
00:32:12: der neuen Abteilungen, der Technologien, der Gemütlichkeit, auch der Ideen, die vielleicht
00:32:17: noch kommen werden. Es gibt eine Sache, die Bibliothek schon immer ausgemacht hat und
00:32:23: wohl immer ausmachen wird.
00:32:25: Bei all den Projekten, die wir dazu entwickeln oder wo wir sagen Innovation oder wir probieren
00:32:30: was Neues aus: Die Bücher werden immer unsere Basis bleiben und das ist mir auch ganz wichtig,
00:32:35: weil Saatgut Bibliothek wird mit den Sachbüchern dazu gedacht. Bibliothek der Dinge wird auch
00:32:41: mit Sachbüchern. Wir haben vier Teleskope, wir haben mit zweien angefangen. Natürlich leihen wir die
00:32:48: ganzen Bücher zur Astronomie, Sternenkarten etc. pp. aus. Und ja, wenn jemand eine Party macht und
00:32:54: sich die Nebelmaschine und die Diskokugel ausleiht, kann der sich auch noch ein "Wie-mix-ich-Cocktails?"-Buch
00:32:59: ausleihen, oder die passende Musik-CD oder, oder, oder. Wir vergessen niemals das Buch. Das ist immer
00:33:07: unsere Basis und oft soll es auch wieder zurückgehen."
00:33:10: Das war die zehnte und letzte Folge der dritten Staffel des Bücherrausch-Podcasts "Hinter
00:33:15: den Kulissen".
00:33:16: Wir hoffen, wir konnten euch in dieser Staffel ein wenig vermitteln, was es heutzutage heißt,
00:33:21: eine Bibliothek zu sein, wie sie funktioniert und wer die Menschen sind, die dort arbeiten.
00:33:25: Falls ihr auf der Suche nach Leseempfehlungen seid, hört gerne in die erste und zweite
00:33:31: Staffel rein, wo euch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Lieblingsbücher vorstellen.
00:33:36: Weitere Infos und Links zu den Folgen der einzelnen Episoden findet ihr in den ShowNotes.
00:33:41: Und wenn es euch gefallen hat, empfehlt uns gerne weiter.
00:33:45: Mein Name ist Marcus Anhäuser.
00:33:47: *Musik* Der Bücherrausch Podcast ist eine Produktion von Marcus Anhäuser, Dresden.
00:34:09: Die Titelmelodie "Please, listen carefully" ist von Jhazaar.
00:34:13: Mit freundlicher Unterstützung der städtischen Bibliotheken Dresden.
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