Leseempfehlung: "Jahrestage" von Uwe Johnson
Shownotes
Buchtipp von:
Roman Rabe, Städtische Bibliotheken Dresden
Buchtitel: "Jahrestage"
Autor: Uwe Johnson
1970 bis 1983 Suhrkamp, Berlin.
Die Musik dieser Folge:
Titelmusik:
"Please, Listen Carefully" von Jahzzar
Basurera by Blue Dot Sessions
Hermes Gray by Blue Dot Sessions
Tiptoe Treadline by Blue Dot Sessions
Produktion:
Aufgenommen von Marcus Anhäuser, Dresden, 2021.
Produziert von Marcus Anhäuser, Dresden, 2021.
Idee und Konzept: Marcus Anhäuser
Mit Unterstützung der Städtischen Bibliotheken Dresden https://www.bibo-dresden.de.
Transkript anzeigen
00:00:00: Warum ich für mich sage, dass ist so ein bedeutsames Buch, hängt auch damit zusammen, dass es für mich das Lesen völlig verändert hat.
00:00:08: Also ich habe von dem Moment an keine Lust mehr gehabt, mir irgendwas zum Lesen zu nehmen.
00:00:14: Hier ist der Bücherrausch.
00:00:15: Please listen carefully.
00:00:17: Herzlich willkommen zur ersten Folge der zweiten Staffel dieses Podcasts,
00:00:25: in dem euch die Buchliebhaberinnen und Buchliebhaber der städtischen Bibliotheken Dresden ihre Lieblingsbücher vorstellen.
00:00:31: In dieser Folge lernt ihr einen Roman kennen, der alles andere als leichte Kost ist.
00:00:37: Eine echte Herausforderung für jeden Literaturfan.
00:00:41: Mein Name ist Marcus Anhäuser.
00:00:52: Viele der Bücher, die wir in dieser Reihe vorstellen, sollen einfach nur Spaß machen, kurzweilig sein, mitreißen oder in eine andere Welt entführen.
00:01:01: Das Buch der heutigen Folge ist da etwas ganz anderes.
00:01:04: Es ist komplex, um nicht zu sagen schwere Kost.
00:01:08: Und trotzdem kann man es mit großem Gewinn lesen.
00:01:11: Es kann geradezu lebensverändernd sein, zumindest was das Leben mit Büchern angeht.
00:01:16: So war es auch bei unserem heutigen Gast, der zwar schon sehr lange bei den städtischen Bibliotheken arbeitet, aber mit Büchern gar nicht so viel zu tun hat.
00:01:26: Mein Name ist Roman Raabe.
00:01:28: Ich bin hier bei den städtischen Bibliotheken Abteilungsleiter für den bibliothekarischen Fachbereich.
00:01:35: Ich bin zu meinem Beruf gekommen, eigentlich über das Interesse an Literatur.
00:01:40: Nichts ahnend, dass meine Arbeit damit am Ende sehr wenig zu tun haben würde.
00:01:46: Aber empfinde das jetzt auch nie als Nachteil.
00:01:49: Also habe das sozusagen dann so ein bisschen zu meinem Hobby gemacht, die Literatur.
00:01:55: Also es geht darum, die Bibliothek zu organisieren.
00:02:07: Ich habe zwar auch alle acht Wochen einen Tag Auskunftsdienst.
00:02:13: Aber da ist jetzt auch nicht viel an Beratung oder da fehlt mir dann letztendlich auch die alltägliche Erfahrung, um da tiefer einsteigen zu können in Gesprächen mit Nutzern.
00:02:24: Roman Raabe hat Bibliothekswiesen in der DDR in Leipzig studiert und 1986 in Dresden bei den städtischen Bibliotheken angefangen.
00:02:34: Inzwischen ist er stellvertretender Direktor und hat damit sein gesamtes Arbeitsleben, immerhin die letzten 35 Jahre, in der Dresdener Bibliothek verbracht.
00:02:43: Ja, ja, genau. Also eine sehr ruhige berufliche Entwicklung, was den Ort betrifft.
00:02:50: Also von Anfang an im selben Haus quasi.
00:03:08: Ja, also es ist ja vielleicht, wenn man es überhaupt so sagen kann, das Buch meiner Bücher Uwe Jonsons "Jahrestage".
00:03:17: Also schon vom Umfang her eins der voluminösesten Romane der deutschen Literaturgeschichte.
00:03:26: Ich habe einen ganz seltsamen Weg zu dem Buch gehabt und das ist vielleicht für Uwe Johnson überhaupt typisch.
00:03:35: Das ist auch ein Grund, warum ich es vorstellen möchte. Es ist relativ unbekannt, es ist verfilmt worden und dadurch hat es mal kurzzeitig eine gewisse Aufmerksamkeit bekommen.
00:03:45: Aber sowohl der Autor insgesamt als auch speziell dieses sein Hauptwerk ist lange nicht so stark im Bewusstsein wie jetzt Bücher von Grass oder Böll,
00:03:55: die ja von der Zeit her, wo die Autoren mit ihm zu einer Generation gehören und auch in der Gruppe der 47 zusammen waren.
00:04:04: [Musik]
00:04:14: Meiner Meinung nach hängt es damit zusammen, dass Uwe Jonson ein Autor ist, der im Nachkriegs-Ostdeutschland sozialisiert worden ist
00:04:26: und auch in Rostock und in Leipzig studiert hat, Germanistik und englische Sprach und konnte dann nie veröffentlicht.
00:04:37: Er war ein super Student, er hat ein sehr schnelles und super Studium abgelegt, aber sein Prüfungswerk war ein Roman, der durfte schon nicht erscheinen.
00:04:47: Er hat dann sofort weitergeschrieben, also mit 22 hatte er schon seinen Staatsexamen, und es erschien nichts, und da hat er dann 1959, also mit 25 Jahren entschieden,
00:04:57: nach Westberlin zu gehen und die Grenze war ja noch offen und was dann ja bedeutet hat, dass eine Rückkehr für ihn nicht möglich war.
00:05:07: [Musik]
00:05:15: Das hat ihn quasi wie im Niemandsland zwischen beiden deutschen Staaten hängen bleiben lassen, also er galt für die DDR als Republikflüchtling und im Westen als einer,
00:05:27: der nie so richtig die Seiten gewechselt hatte. Er gehörte nie zur westdeutschen Literatur und er gehörte nie zur DDR Literatur und so blieb er so ein bisschen hängen,
00:05:38: obwohl er mit den ganz großen Autoren seiner Zeit, auch den Schweizern, eng befreundet gewesen ist. Also von allen, auch von der Literaturwissenschaft hoch anerkannt,
00:05:49: aber, ja, es hängt sicherlich auch damit zusammen, dass er wirklich nie einfach zu lesen ist.
00:05:58: [Musik]
00:06:06: Warum ich für mich sage, dass es so ein bedeutsames Buch hängt, auch damit zusammen, dass es für mich das Lesen völlig verändert hat.
00:06:14: Also ich hab von dem Moment an keine Lust mehr gehabt oder mach das nur noch ganz selten, mir irgendwas zum Lesen zu nehmen,
00:06:23: sondern ich nehme mir pro Jahr ein Buch der Weltliteratur vor und beschäftige mich monatelang mit dem Buch, mit dem Autor, mit den Umständen und all diesen Dingen, seit ihm.
00:06:34: [Musik]
00:06:41: Die Geschichte war so, dass ich in den 2000er Jahren irgendwie im Buchreport einen kurzen Beitrag gefunden hab,
00:06:47: es muss irgendein Jubiläum zu den Jahrestagen gewesen sein, dass das ein Werk der Weltliteratur ist.
00:06:53: Also den Namen hatte ich schon mal gehört, aber ich hatte den Titel dieses Buches und 1700 Seiten, also dass mir das entgangen sein konnte in meinem Interesse für Literatur,
00:07:03: das hat mich so verblüfft und dann wurde es auch noch als Weltliteratur eingestuft und es war ein deutscher Autor aus der DDR, das ging irgendwie nicht.
00:07:11: Also da war die Neugierde so geweckt und ich hab dann, also mir sofort besorgt und musste nach 50 Seiten wieder von vorne anfangen.
00:07:21: [Musik]
00:07:30: Ich hab gedacht, ich lese einfach weiter, ich verstehe das jetzt zwar nicht, aber das kommt dann schon, aber es kam einfach nicht.
00:07:35: Und dann hab ich gedacht, okay, jetzt muss ich nochmal von vorne anfangen und dann hab ich mir so ein bisschen Notizen zu Figuren gemacht und dann beim zweiten Mal war ich dann drin.
00:07:43: [Musik]
00:07:49: Das Buch heißt "Jahrestage", weil es aus 365 Kapiteln besteht oder 366 Kapiteln, die hintereinander weg, die Tage von einem Jahr, also nie von einem Kalenderjahr,
00:08:04: aber beginnt am 20. August 1967 und endet am 20. August 1968 zum Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag.
00:08:15: Aber da sieht man auch nochmal diese manchmal schicksalhafte Verknüpfung von Zufällen.
00:08:23: Uwe Johnson hat das Buch eher angefangen als am 20. August 1968 und er wusste, dass er ein Jahr schreiben will.
00:08:31: Also er hat auf einen Tag hingeschrieben, der historisch dann auch für das Buch wichtig wird, ohne dass er das zu Beginn seines Schreibens wusste.
00:08:39: Also finde ich einen so irren Zufall. Und da lässt es dann auch wirklich auf diesen Einmarsch hinauslaufen und in der Gegenwartsebene dieses Jahres spielt die Tschechoslovakei auch wirklich eine Rolle.
00:08:52: [Musik]
00:09:01: Man hat bei einem Roman, der 1700 Seiten hat, also der besteht eigentlich aus vier Teilen, aber Johnson hat die auch nur Lieferungen genannt,
00:09:09: weil er überhaupt nicht wollte, dass der, also man konnte das natürlich nicht im einem Ruck erscheinen lassen, das war dem Verlag auch klar und ihm auch,
00:09:16: aber es soll schon ein zusammenhängendes Werk sein. Das ist ein Buch, was sehr collageartig gestaltet ist,
00:09:26: mit sehr vielen Ebenen, die auch innerhalb einer Seite häufig wechseln und er lässt einen auch nicht chronologisch in die Geschichte einsteigen,
00:09:36: sondern fang an, wechselt er permanent die Ebenen.
00:09:39: [Musik]
00:10:08: Der Untertitel ist "Aus dem Leben der Christine Cresspahl".
00:10:12: Die Gegenwärtsgeschichte ist das Leben einer alleinstehenden Mutter mit einer neuen, dann zehnjährigen Tochter in New York.
00:10:23: Einer Deutschen, die in einer amerikanischen Bank als Übersetzerin und Dolmetscherin arbeitet, die eigentlich nach Amerika gegangen ist,
00:10:33: um für ihr berufliches Fortkommen dort aber eigentlich nie bleiben wollte.
00:10:38: Also das Leben dieser beiden in der Stadt, die Tochter mit ihren Schulerlebnissen, die Mutter mit ihrem Arbeitserlebnis und den Bekannten,
00:10:46: die sie haben, ist die Gegenwärtsebene und die Mutter hat ein Projekt und zwar will sie ihre Biografie aufschreiben.
00:10:55: Sie will die auf Band sprechen und dieses Aufsprechen hat einen gewissen dialogischen Charakter, weil die Tochter quasi zuhört
00:11:03: und sie erzählt ihre Tochter, ihre Geschichte und die ihrer Eltern.
00:11:08: [Musik]
00:11:14: Da kommt jetzt aber noch schon, also das ist schon zu einfach für Johnson, wenn man das jetzt nur so machen würde,
00:11:20: er braucht jetzt außer diesem Dialogpartner Tochter jetzt auch noch den Dialogpartner Autor.
00:11:27: Er bringt sich selbst als Figur ein, hauptsächlich ist er in einem geistigen Dialog mit ihr oder sie mit ihm.
00:11:34: Sie beauftragt nämlich eigentlich ihn das aufzuschreiben, also diese Biografie und dann ist sie aber mit bestimmten Formulierungen
00:11:42: oder Interpretationen nicht einverstanden und dann gibt es dann quasi diesen Dialog zwischen beiden.
00:11:48: Das gibt dem noch mal so eine zusätzliche Ebene, die immer deutlich bleiben lässt, dass hier niemand quasi weiß, wie es tatsächlich ist.
00:12:00: Also es bleibt auch immer so ein gewisser Schwebezustand, zumal er auch ein großer Meister der Auslassung ist,
00:12:06: also man sich sowieso vieles dann so zusammenbauen muss als Leser.
00:12:11: [Musik]
00:12:25: Das ist also die Gegenwärtsebene und dann ist eben die Ebene vor allen Dingen der Eltern,
00:12:30: also damit fängt jetzt quasi auch der interessanteste Teil, wenn man jetzt an der Handlung interessiert ist, an, wie,
00:12:37: ich habe ja noch nie mal alle Ebenen erzählt, es gibt ja noch, also wenn man die Figuren benennt,
00:12:42: dann muss man noch eine nennen, die ist gar kein Mensch und das ist die New York Times.
00:12:47: Also er macht die New York Times quasi zur Figur im Buch.
00:12:55: Der Zeitraum dieser Biografie umfasst so ungefähr 40 Jahre, also es geht dann bis in die 50er Jahre,
00:13:01: also man erlebt diesen Ort, wie der Nationalsozialismus zu Ende geht, wie er erst mal, das wechselt innerhalb der Kapitel permanent.
00:13:09: Und damit muss man als Leser irgendwie zurechtkommen und ich muss schon noch zugeben,
00:13:13: dass diese alte Geschichte, die ist die ein am meisten Fessel.
00:13:17: Und dann kommt die DDR-Zeit und dann ist noch mal Tochter, das ist der vierte Band,
00:13:22: und dann beschließt er, dass das Ganze macht den Roman, aber dann wird dann nochmal ihre Zeit in der Abitur.
00:13:27: Das wird also quasi alles übereinander gelegt, wie so ein Konzert, wo die verschiedenen Instrumente alle parallel spielen und man so ein,
00:13:39: ja also das Einzelne, also so ganz so ist es wie in der Musik ist es natürlich nie,
00:13:44: man kann ja immer nur einen Satz schreiben und den anderen dann noch da drüber legen,
00:13:48: dann, das muss man schon hintereinander machen, aber er versucht das schon wirklich in sehr kurzen Frequenzen zu wechseln,
00:13:53: damit man in allem immer irgendwie drin bleibt.
00:13:56: Und zwar ist es die Szene, wo Heinrich Cresspahl, also der Vater von Gesine,
00:14:07: bei seinem zukünftigen Schwiegervater im Kontor sitzt, wo es jetzt darum geht, kriegt er die Tochter oder kriegt er sie nicht.
00:14:14: Zwei Begriffe muss ich noch erklären, damit man es versteht. Das eine ist das Wort "Rotspon", das ist ein Rotwein im Fass.
00:14:21: Die Lübecker haben aus Bordeaux immer den Rotwein importiert und ihn dann für die Flaschenreife dann erst im eigenen Lande quasi zu Ende kommen lassen.
00:14:33: Und das zweite ist Dr. Semich, eine Figur aus dem Buch, das ist ein jüdischer Tierarzt.
00:14:40: Und der Schwiegervater heißt Albert Papenbrock.
00:14:46: Und Papenbrock wusste nichts gegen diesen Cresspahl zu tun. Dieser Mensch ließ sich eine Zeit nach dem Abendessen bestellen.
00:14:54: Dieser Mensch ließ Papenbrock allein seine Zigarre rauchen. Er bestand nicht auf dem fälligen Rotspon.
00:15:01: Der Mensch war nicht zu kränken. Der Mensch hatte Geld, fast wie die Lübecker Partie.
00:15:08: Er würde ja vielleicht nicht geradezu Dr. Semich zur Hochzeit einladen.
00:15:12: Und Papenbrock rutschte aus seinem Sessel, tappte in dem nahezu nachtfinsteren Zimmer umher, bückte sich mit seinen 63 Jahren unter den Schreibtisch, stellte die Flasche offen hin, goss ein und sagte, unverhofft Hochdeutsch, „Herr Cresspahl“, winkte meinem über alle Worte verblüfften Vater zum Aufstehen und fing an, „Herr Cresspahl, denn wollen wir also verwandt sein. Sag mir mal, was sie dir für einen Vornamen gegeben haben.“
00:15:42: Lisbeth Papenbrock hatte sich meinen Großvater gut gezogen.
00:15:46: Gesine Cresspahl verbringt diesen Sonntag auf Staten Island, in Tuttonville, später auf der Uferpromenade der Midland Beach.
00:15:55: Das Kind hat darauf bestanden, hier den Regen abzuwarten.
00:15:59: Im Nordosten, jenseits der Atlantikbucht, sind die vom Wetter verschmierten Türme von Brooklyn zu sehen, manchmal weiß aufleuchtend unter Spalten in der Bewölkung.
00:16:10: Hinter jenen Schlössern des Meeres in den zweistöckigen Slums bringen sie einander um.
00:16:16: Über den Ausflug hat sie die New York Times verpasst.
00:16:20: In einem Abfallkorb sieht sie einen Rest der heutigen Ausgabe mit einem großen Foto nach oben.
00:16:26: Es zeigt nicht deutlich ein feistes, dunkelhaariges Kind von etwa 14 Jahren, das in den Armen eines bäuerlich gekleideten Mannes liegt und gerade geküsst wird.
00:16:37: Der Mann trägt einen Schnurrbart, sein Hemdkragen ist nicht amerikanisch. Er hat Ähnlichkeit mit Stalin in seinen besten Jahren.
00:16:45: „Und dann?“, fragt das Kind, „dann war deine Mutter nach der Europäischen Sitte verlobt?“
00:16:51: Dann war sie mit Heinrich Cresspahl, Kunsttischler aus Richmond, verlobt.
00:16:56: Luise Papenbrock hatte den Tisch im Esszimmer heimlich neu gedeckt und war beim Polieren der Gläser, als die Herren aus dem Kontor kamen.
00:17:04: Mit dem Tuch in der Hand griff sie sich Cresspahls, versuchte ihm in die Augen zu sehen und sprach vom nötigen Wohlwollen Gottes.
00:17:13: Cresspahl hielt das für harmlos und Papenbrock, abgewandt, zwinkernd, verzog sich zu seinem Weinkeller.
00:17:23: Meine Mutter zeigte sich Papenbrock noch einmal als seine Vorzugstochter, ging bedienend um den Tisch, leise, nicht übermütig, zufrieden.
00:17:32: Luise Papenbrock weinte, wenn es sich zu ergeben schien.
00:17:36: Papenbrock trank Cognac und Mosel durcheinander und sprach über die hübschen Kinder, die seine Tochter mit Cresspahl in die Welt setzen würde.
00:17:44: „Aber nicht mit deinen Knochen, die Mädchen, Heinrich Cresspahl, Prost!“
00:17:49: Und sprach über Heinz Zoll, Tischlermeister in Jericho, den er auskaufen würde.
00:17:54: Und meine Mutter setzte sich neben ihn und sah Cresspahl an, als bitte sie ihn um etwas, aber Cresspahl bewegte ernsthaft seinen Kopf und sie sagte, ein wenig ängstlich, doch verschmitzt,
00:18:07: "Vadding, wir blieben nicht."
00:18:10: Und Papenbrock fuhr an sein Herz, wo ihre Hand schon war, und er grinste etwas geniert, weil er sein Erschrecken gezeigt hatte und eben daran gewesen war, es zu übertreiben.
00:18:20: "Und Horst Papenbrock?", fragt das Kind.
00:18:24: Horst Papenbrock war nicht dabei.
00:18:27: Darauf hatte meine Mutter geachtet.
00:18:29: Der hatte Kameradschaftsabend bei den Genetzer Nazis.
00:18:33: 11. September 1967, Montag.
00:18:36: In der gestrigen Ausgabe der New York Times beschrieb die Tochter Stalins den Tod meines Vaters und in der heutigen mein Leben mit Vater und Mutter.
00:18:45: Die beste Zeitung der Welt versieht die Memoiren der Überläuferin mit Fotografien in eigener Verantwortung.
00:18:52: Heute mit einer Aufnahme von 1935, in der Stalin der Kamera seines Oberleibwächters eine Nase macht.
00:19:01: Und wir sind der Zeitung treu seit sechs Jahren.
00:19:04: Man merkt aus dem Stück schon die ganze Art und Weise, wie das ganze Buch verfasst ist.
00:19:19: "Es ist diese Wahrheitssuche, die mich fasziniert, dieser unbedingte Versuch, etwas so zu erzählen, dass es wahrhaftig ist.
00:19:38: Es ist die persönliche Nähe des Autors zu seinen Figuren, dieses fast liebevolle, was er für sie aufbringt.
00:19:53: Es ist die Verbindung zwischen persönlichem Leben und Schicksal und allgemeiner Geschichte und auch dieses mit einem Figurenensemble eine ganze Kleinstadt in ihrer Entwicklung zu zeigen.
00:20:10: Ich habe es auch deswegen vorgestellt, weil ich denke, es hat uns heute viel zu sagen und es ist schade, dass es nicht mehr Menschen sich damit auseinandersetzen und auch, dass der Autor nicht eine größere Rolle in unserem literarischen Bewusstsein spielt.
00:20:31: Er hat auch in seiner Einsamkeit, das ist meine Interpretation, seine Figuren zu seinen Lebenspartnern gemacht.
00:20:41: Wenn man das liest, wie intensiv, wie sensibel er die beschreibt, er hat eine Feinfühligkeit.
00:20:49: Es spricht doch immer irgendwie so einen Zorn aus ihm raus, das ist so unterschwellig. Er bleibt im Erzählen eigentlich immer sehr unaufgeregt.
00:21:01: Er ist so ganz ruhig. Auch für unsere Zeit ist er da ein Autor, der uns viel helfen kann, einfach die Dinge ruhig zu erzählen.
00:21:18: Das spürt man eben, wenn ein Werk wirklich aus dem Inneren eines Autors kommt und trotz seiner Konstruktion, die er da gewählt hat, die hochintellektuell ist und geplant ist.
00:21:32: Das ist nie so hingeschrieben aus dem Affekt oder aus dem Gefühl. Das ist ganz intensiv geplant.
00:21:39: Es ist trotzdem voller emotionaler Kraft, die aber ganz stark zurückgehalten ist, die man aber immer spürt.
00:21:50: Also sicherlich nicht, wenn es um die New York Times-Stellen geht, aber insgesamt ist das so. Ja.
00:22:08: Das war Roman Raabe, der den vierbändigen Roman "Jahrestage" von Uwe Johnson vorstellte.
00:22:15: Erstmals erschienen im Surkamp-Verlag zwischen 1970 und 1983.
00:22:22: Bekommt ihr sicher auch in eurer Bibliothek, egal wo ihr diesen Podcast hört.
00:22:26: Wir hoffen, es hat euch gefallen.
00:22:28: Wenn ihr mehr solcher Leseempfehlungen hören wollt, abonniert einfach unseren Podcast und empfehlt ihn weiter.
00:22:35: Bis zur nächsten Folge.
00:22:53: Der Bücherrausch ist eine Produktion von Marcus Anhäuser.
00:22:57: Die Titelmelodie "Please Listen Carefully" ist von Jazaar.
00:23:01: Die Musik in jeder Episode stammt von Blue Dot Session.
00:23:05: Eine Produktion aus dem Jahr 2021.
Stevie Wonder
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