Die Bücher zu den Menschen bringen.

Shownotes

Die Webseite der Mobilen Bibliothek: https://www.bibo-dresden.de/de/standorte/mobile-bibliothek.php

Die Podcastfolge, in der Jeanette Vilbrandt "Die geschützten Männer" von Robert Merle vorstellt: https://buecherrausch.podigee.io/s2e4-geschuetzte-maenner-robert-merle

Titelmusik:

"Please, Listen Carefully", Jahzzar

Kommentare und Anmerkungen zur Folge bitte hier: https://buecherrausch.podigee.io/s3e2-fahrbibliothek-soziale-bibliothek

Aufgenommen und produziert von Marcus Anhäuser, Dresden, im Jahr 2022.

Mit freundlicher Unterstützung der Städtischen Bibliotheken Dresden. https://www.bibo-dresden.de

Transkript anzeigen

00:00:00: Hallo, herzlich willkommen zur zweiten Folge dieser dritten Staffel des Bücherrausch Podcasts.

00:00:04: In der letzten Folge habe ich euch den Weg erklärt, den neue Bücher zurücklegen müssen,

00:00:09: um an ihren Platz im Regal der Bibliotheken zu kommen, damit sie für alle erreichbar

00:00:13: sind, die den Weg in die Bibliothek finden.

00:00:16: Doch wie können Menschen, die diesen Weg nicht mehr schaffen, trotzdem die Bibliothek

00:00:20: nutzen, diese gigantische Auswahl von etwa drei Viertel Millionen Büchern, Hörbüchern,

00:00:25: Spielen oder DVDs?

00:00:26: In den nächsten beiden Folgen stelle ich euch die Bereiche innerhalb der städtischen Bibliotheken

00:00:31: Dresden vor, die nur dazu da sind, genau diesen Menschen zu helfen.

00:00:36: Mein Name ist Markus Anhäuser.

00:00:47: Außer der Zentralbibliothek im Dresden-Kulturpalast im Herzen der Stadt gibt es 19 Zweigstellen

00:00:53: und 11 Ausleihstellen in den Vororten, um die Bücherfreunde in den Stadtteilen mit Lesefutter

00:00:58: zu versorgen.

00:00:59: Trotzdem gibt es immer noch viele weiße Bücherflecken in der Barockstadt, die sich rechts und links

00:01:05: entlang der Elbe ausbreitet und so flächenmäßig die viertgrößte Großstadt Deutschlands ist,

00:01:10: gleich hinter Millionenstädten wie Berlin, Hamburg und Köln.

00:01:12: Um auch Bücherfans abseits der Zweigstellen zu erreichen, folgen die städtischen Bibliotheken

00:01:18: einem einfachen Prinzip.

00:01:20: Wenn die Leute nicht zu den Büchern kommen können, bringen sie die Bücher eben zu den

00:01:24: Leuten.

00:01:25: Und zwar schon seit 1929.

00:01:28: Damals startete Deutschlands erste Fahrbibliothek, eine Zweigstelle auf Rädern, ein LKW, der

00:01:34: die Medien zu den Menschen bringt.

00:01:37: Inzwischen gibt es den Service auch in anderen Städten, aber nirgendwo so lange wie in Dresden.

00:01:41: Zuerst waren es Busse, heute ist es ein LKW, der Bücher und andere Medien in abgelegene Stadtbereiche

00:01:47: transportiert.

00:01:51: Ich stehe an einem Mittwochmittag an einem Parkplatz in Dresdener Vorort Großzschachwitz.

00:01:56: Umgeben von Mietshäusern, sechs Stockwerke hoch, ein typisches Dresdener Wohngebiet.

00:02:02: Vorsichtig rangiert der marineblaue LKW, verziert mit attraktiven Grafiken wie eine Dinosaurier,

00:02:08: auf seinen Platz an der eigens eingerichteten Haltestelle an der Rathener Straße.

00:02:19: Jan Tempel, der seit rund 30 Jahren mit dem LKW Bücher in Dresden verteilt, öffnet die

00:02:25: transparente Schiebetür und klappt die metallene Falltreppe herunter.

00:02:29: Zusammen mit Mireille Hubert, die den 10 Tonnen gefahren und auf dem Parkplatz rangiert hat,

00:02:34: betreten wir den Auflieger.

00:02:38: Hereinspaziert!

00:02:45: Es sind vor allem Regale zu sehen, als wäre der LKW einmal komplett von innen bis zur

00:02:50: Decke damit ausgekleidet.

00:02:52: Vollbepackt mit Büchern und Schubladen, in denen CDs und DVDs stehen.

00:02:57: Eine Hälfte für Kinder und Jugendliche, die andere für Erwachsene.

00:03:02: Gleich rechts neben der Tür steht ein Computer an der Wand, weiter hinten gibt es einen L-förmigen

00:03:07: Kassen- und Arbeitsplatz, der seit Corona mit zwei großen Plexiglassscheiben als Virenschutz

00:03:11: ausgestattet ist.

00:03:12: Wir stehen jetzt hier in der Dresdner Fahrbibliothek, das ist ein LKW mit einem Auflieger, in dem

00:03:18: ganz viele Regale eingebaut wurden, damit wir dort wo es keine festen Bibliotheken gibt,

00:03:23: sozusagen an unseren Haltestellen, die Leute mit Medien versorgen können.

00:03:27: Mireille Hubert ist Bibliotheksfachangestellte seit 2010, also noch nicht so lange bei der

00:03:33: Bibliothek wie ihr Kollege Jan Tempel.

00:03:35: Aber auch sie muss diese eine einzigartige Anforderung dieser Stelle erfüllen, an die

00:03:41: man erstmal nicht denkt.

00:03:42: Ich fahre.

00:03:43: Ich bin Bibliotheksfachangestellte mit einem LKW-Führerschein.

00:03:45: Ganz früher war es wirklich so, da waren diese Arbeitsschritte getrennt.

00:03:49: Dort hatte man einen Fahrer und dann hatten man die Bibliothekare.

00:03:51: Und das hat sich mit der Zeit aufgelöst und so ist es eigentlich gewachsen.

00:03:54: Also wir sind jetzt alle beide sozusagen, Fahrer und Fachangestellte.

00:03:59: Während Mireille Huber das LKW-Fahren dazulernen musste, war es bei Jan Tempel genau umgekehrt.

00:04:05: Ich bin hier als Fahrer angestellt, also als ich hier anfing und die ganzen anderen anfallenden

00:04:10: Arbeiten mache ich natürlich auch mit.

00:04:13: Also Ausleihe und Buchpflege und was alles so nötig ist, das mache ich hier.

00:04:18: Im Laufe der vielen Jahre hat man sich das halt angeeignet.

00:04:21: In einer der festen Zweigstellen würde er gar nicht unbedingt arbeiten wollen.

00:04:25: Ich finde das eigentlich gut hier, dass man so durch die Gegend fahren kann und vor allen

00:04:28: Dingen die Leute freuen sich immer, wenn man da ist.

00:04:31: Das ist schon ein bisschen persönlicher, finde ich.

00:04:34: Und dadurch, dass man schon viele Jahre hier ist, das Stammpublikum, da entwickelt sich das halt so.

00:04:39: Dieser besonders enge Kontakt zu den Kundinnen und Kunden ist auch das, was die Arbeit in

00:04:43: der Bibliothek auf Rädern für Mireille Hubert so besonders macht.

00:04:47: Das ist was sehr Schönes, dass man sich halt wirklich sehr, sehr personalisiert um die Nutzer kümmert.

00:04:52: Dass man teilweise eben Familiengeschichten schon kennt oder man erkennt schon an der Stimme

00:04:56: draußen, wer vor dem Auto steht und dann gleich reinkommt.

00:04:59: Oder wenn man auch merkt, dass die Leute sich untereinander kennen.

00:05:02: Das ist halt eine schöne, sehr enge Beziehung zu den Nutzern hier.

00:05:05: Der entscheidende Unterschied, anders als in den festen Bibliotheken, können die Nutzerinnen

00:05:09: und Nutzer die Bücher oder CDs nicht selbstständig an Computerterminals verbuchen oder am Automaten zurückgeben.

00:05:15: Der Nutzer kommt halt zu uns, um zu verbuchen, um auszuleihen, wie gesagt auch mal ein Schwätzchen zu halten.

00:05:20: Aber es ist halt auch sehr nah am Nutzer dran wegen der Beratung.

00:05:25: Weil bei uns natürlich viele Nutzer zum Beispiel nicht an die oberen Regale rankommen.

00:05:29: Oder wir haben zum Beispiel unsere Kästensysteme, wo die CDs drin sind.

00:05:35: Die sind ja befestigt.

00:05:37: Sonst würden die ja während der Fahrt ihr eigenes Ding machen.

00:05:41: Wir müssen halt wirklich ganz viel mit den Leuten kommunizieren, wie es funktioniert, was ist.

00:05:45: Aber ganz toll ist auch immer, wenn die Kinder reinkommen.

00:05:47: Wie funktioniert denn das?

00:05:48: Und der große LKW.

00:05:49: Kann ich das mal anschauen?

00:05:51: Was ist denn dort drin?

00:05:52: Und wie funktioniert denn das?

00:05:53: Das ist halt schon sehr anders hier.

00:05:55: Um an die Bücher in den oberen Regalböden unter der Decke zu kommen, gibt es zwar eine einfache

00:06:01: Klappleiter, aber für Kinder und ältere Personen ist das Aufsteigen natürlich nicht ganz ungefährlich.

00:06:06: Außerdem gibt es eine Eigenart der Bibliothek auf Rädern, die so manch einem weiche Knie bereitet.

00:06:12: Die Leiter brauchen wir natürlich tatsächlich tagtäglich.

00:06:15: Und das ist auch das, wo ich sage, die Nutzer brauchen oftmals unsere Hilfe.

00:06:17: Gerade die Kinder kommen oben nicht ran, die Älteren kommen oben nicht ran.

00:06:20: Und bei uns kommt noch dazu, der Wagen ist ja luftgefedert gelagert.

00:06:26: Das heißt, in einer schiefen Straße und wenn sich hier drin Menschen bewegen, dann bewegt

00:06:31: sich auch der Auflieger.

00:06:32: Und es ist für viele Leute sehr unangenehm, auf der Leiter zu stehen und dann diese Bewegung

00:06:38: von dem Wagen noch auszuhalten.

00:06:39: Dann zeigt sie mir, was sie meint und bewegt sich ein, zwei Mal kräftig nach rechts und

00:06:44: links.

00:06:45: Und ich spüre ein ganz leichtes Schaukeln des LKWs.

00:06:47: Das merken sie, ne?

00:06:48: Genau.

00:06:49: Und da ist es wirklich halt wichtig, dass wir den Nutzern auch zur Verfügung stehen und

00:06:53: sagen: Ja das mache ich.

00:06:54: Man ist selber dran gewöhnt.

00:06:56: Ich hatte mal eine Nutzerin, die sagte, merken sie das?

00:07:00: Und ich sag, was meinen sie denn?

00:07:02: Na, hier ist es wie auf einem Schiff.

00:07:05: Der Vergleich mit einem Schiff ist gar nicht so verkehrt.

00:07:07: Denn genau wie ein Schiff für das Leben auf der stürmischen See gerüstet ist, ist auch

00:07:11: der Bibliothekslaster auf die besonderen Erfordernisse für das Leben auf der Straße vorbereitet.

00:07:17: Insbesondere für die Fahrt vom Bücherhafen im Dresdner Stadtteil Pieschen zu den Haltestellen.

00:07:22: Die Schubladen sind verriegelt, die Buchstützen lassen sich arrettieren, die Regalböden sind

00:07:27: leicht gekippt.

00:07:28: Was dazu führt, dass die Fahrbibliothek wohl die einzige Bibliothek ist, bei der die Bücher

00:07:34: nicht vorne an der Kante stehen.

00:07:36: So wie es jede Bibliothekarin und jeder Fachangestellte einmal gelernt hat.

00:07:40: Das hängt mit der Neigung auch von dem Brett zusammen.

00:07:43: Also erstens gehen die Buchstützen ja nicht bis vorne hin und die halten ja die Bücher

00:07:46: fest sozusagen.

00:07:47: Man klemmt die ja so dazwischen.

00:07:49: Also das ergibt keinen Sinn, die nach vorne zu ziehen.

00:07:51: Je weiter vorne die stehen, umso schneller hüpfen sie halt beim Schlagloch mal raus.

00:07:56: Oder wenn man um die Kurve fährt.

00:07:57: [lacht]

00:07:58: Während der Ausbildung habe ich auch so diese klassische Hand-Arm-Bewegung irgendwie so für mich gehabt.

00:08:03: Ich habe die Bücher ein Stück vorgezogen und dann quasi mit dem Unterarm gerade geschoben

00:08:09: und dann noch mit den Fingern nachjustiert.

00:08:11: Das ist natürlich hier was, was ich hier nicht machen kann.

00:08:14: Abgesehen von diesen Besonderheiten bietet der Wagen alles, was man braucht, um einige

00:08:18: Stunden am Tag an den Haltestellen für die Kundinnen und Kunden da zu sein.

00:08:23: Klimaanlage im Sommer, eine Heizung im Winter, eine Toilette, ein Kühlschrank.

00:08:28: Im dunklen trüben Winter lockt die üppige Beleuchtung die Bücher-Fans zum Wagen.

00:08:34: Sieht auch immer ganz hübsch aus von draußen dann, unsere Tür.

00:08:38: Und ja, man kann eigentlich ganz gut durch den Tag kommen.

00:08:43: An vielen der Tage warten die ersten Kundinnen und Kunden schon an der Haltestelle, bevor

00:08:48: der LKW eintrifft.

00:08:50: Heute lassen sie auf sich warten.

00:08:52: Doch dann trudeln die ersten ein.

00:08:54: Ich möchte nur was bestellen.

00:08:57: Was bestellen wollen?

00:09:00: Von der Frau Gerlitz.

00:09:03: Ist jetzt eine Vormerkung, ist gerade alles ausgeliehen, aber das nächste, was dann frei

00:09:08: wird.

00:09:09: Viele haben Bücher in einer Tüte oder einer Baumwolltasche mitgebracht, um sie zurück

00:09:13: zu bringen und mit neuem Lesestoff zu füllen.

00:09:16: Heute kommen vor allem ältere Damen.

00:09:18: Direkt hier ist im Wohngebiet den Großzschachwitz.

00:09:20: So wie Frau Taubert.

00:09:21: Den kenne ich persönlich nicht.

00:09:24: Den kennen Sie persönlich?

00:09:25: Nee, den kenne ich persönlich nicht.

00:09:28: Ich nehme erst mal das eine mit und wenn Sie mir das vormerken könnten.

00:09:33: Vormerkung beim Kollegen, bitte da.

00:09:37: Nächste Woche nochmal.

00:09:39: Nun ja, ich bin sonst immer ein Laubegast gewesen.

00:09:42: Und das bin ich aber, altersgemäß ist mir das mit dem Fahrrad zu fahren immer mehr

00:09:46: oder weniger zu viel.

00:09:47: Und da bin ich dankbar, dass hier im Wohngebiet einmal in der Woche eben eine Fahrbibliothek

00:09:53: da ist.

00:09:54: Das habe ich sehr vermisst jetzt zu den ganzen Corona-Zeiten.

00:09:57: War ja nun nichts da und jetzt komme ich nun wieder.

00:10:00: Frau Brünning wurde eher zufällig Kundin in der Fahrbibliothek.

00:10:03: Sie war eigentlich keine Bibliotheksnutzerin, bis sie vor vielen Jahren im Viertel spazieren

00:10:08: ging.

00:10:09: Mein Mann hat das entdeckt.

00:10:10: Wir haben sie mal hier gesehen und da sind wir rein.

00:10:15: Und da seitdem gehen wir hierher.

00:10:18: Früher, wo ich arbeiten gegangen bin, haben wir uns so unter Kollegen immer ausgetauscht.

00:10:24: Aber seit die Fahrbibliothek hier ist, also wie gesagt, seit ich das entdeckt habe, bin

00:10:30: ich hier.

00:10:31: Aber nicht alle Kunden kommen persönlich vorbei.

00:10:33: Man kann in der rollenden Bibliothek auch anrufen, wie in jeder anderen Ausleihstelle.

00:10:37: ... Bibliothekenschutz, der in allen Bibliotheken dran ist.

00:10:41: Oh, jetzt klingelt das Telefon.

00:10:42: Fahrbibliothek, Hubert Schönen, guten Tag.

00:10:47: So wie dieser Herr, der ein ganz bestimmtes Buch sucht.

00:10:52: Hühnersuppe für die Seele, ein Bestseller aus den 90er Jahren.

00:10:56: Nach seinen Recherchen müsste das Buch eigentlich vorhanden sein.

00:10:59: Tatsächlich ist es überfällig.

00:11:01: Schau ich mal rein.

00:11:05: Und zwar kann ich Ihnen dazu sagen, es ist überfällig.

00:11:08: Da haben Sie vollkommen recht.

00:11:09: Das passiert unter Umständen.

00:11:10: Hier ist noch der Sonderfall, dass das bei uns in der sozialen Bibliotheksarbeit ausgeliehen

00:11:17: wurde.

00:11:18: Das heißt, das ist ein Heim.

00:11:19: Das einzige Exemplar ist zwar nur in der mobilen Bibliothek vorhanden, aber derzeit in einem

00:11:24: ganz anderen Bereich verliehen.

00:11:26: Der sozialen Bibliothek.

00:11:29: Hier bringen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der städtischen Bibliotheken die Medien noch

00:11:33: näher zu den Kundinnen und Kunden.

00:11:36: Sie stellen Büchertische auf in den Senioren- und Behindertenheimen der Stadt, um die Bücher

00:11:40: zu den Leuten zu bringen, für die auch der Weg zur Fahrbibliothek zu weit ist.

00:11:45: Nur noch ,al schauen ... Wir sind auch die einzigen, die das Buch haben.

00:11:49: Dann kann es auch noch irgendwo anders bestellen.

00:11:51: Das wäre jetzt noch die Alternative gewesen.

00:11:53: Aber wir sind jetzt hier die einzigen mit dem Exemplar.

00:11:55: Das kann ich nur noch mal konkret bei den Büchern machen.

00:11:58: Für Jan Tempel und Mireille Hubert war das die erste Station ihrer Tour.

00:12:03: Nach zweieinhalb Stunden geht es in den Nachbarort Kleinschachwitz.

00:12:07: Feierabend ist dann um 18.30 Uhr.

00:12:09: Dann heißt es, alles wieder festzurren für die Fahrt zurück zur Zweigstelle Pieschen.

00:12:15: Morgen sind dann die nächsten drei der 14 Haltestellen dran, die das vierköpfige Team

00:12:19: mit ihrer Bibliothek auf sechs Rädern ansteuert.

00:12:28: Um mehr über die soziale Bibliothek zu erfahren, besuche ich Jeanett Vilbrandt, die ihr vielleicht

00:12:33: noch aus der zweiten Staffel dieses Podcasts kennt.

00:12:37: Dort hat sie in Folge 4 den Roman "Die geschützten Männer" von Robert Merle vorgestellt.

00:12:40: ... fühlt man sich auch, als ob das regnet.

00:12:42: Man ist so mitgenommen, man ist so drin.

00:12:45: Ja, da schafft das wirklich gut seine Leser an ...

00:12:48: Ich treffe sie an einem ihrer Büchertische in einem Seniorenheim in der Nähe des Dresdner

00:12:52: Yenidze, der ehemaligen Zigarettenfabrik, die viele Touristen wegen der ungewöhnlichen

00:12:57: Architektur für eine Moschee halten.

00:12:59: Ich weiß jetzt, was Sie meinen, Frau Späht.

00:13:02: Das hier, das war richtig gut.

00:13:05: Ja, das war richtig gut.

00:13:07: Ich war erstaunt.

00:13:08: Auf einem etwa drei Meter langen Klappdicht liegen Bücher und ein paar CDs aus.

00:13:12: Darunter stehen rote und blaue rechteckige Transporteimer mit weiteren Medien.

00:13:17: Zwei ältere Damen und ein Herr sind bereits eingetroffen und sehen sich die Auslage an.

00:13:22: An einem gesonderten Tisch am Anfang der Auslage sitzt Isi Voigt, der sein freiwilliges soziales

00:13:28: Jahr bei den städtischen Bibliotheken absolviert.

00:13:32: Er nimmt die Rückgaben entgegen, die manche in den Körben ihres Rollators oder einer

00:13:36: Baumwolltasche mitgebracht haben.

00:13:39: Jeannette Vilbrandt steht hinter dem Tisch und wartet darauf, dass sie ihren Kunden helfen kann.

00:13:44: Bei uns ist es nicht so, dass wir die Türen öffnen und die Leser strömen zu uns, sondern

00:13:49: wir suchen die Leser auf.

00:13:52: Dazu haben wir einen Pkw zur Verfügung und wir fahren dann mit vorher gepackten Sendungen

00:14:00: ins Seniorenheim, ins Pflegeheim eher seltener.

00:14:05: Das sind aber auch oft Begegnungsstätten dabei oder auch Heime für Körperbehinderte.

00:14:11: Blindenstammtisch war bisher immer noch dabei.

00:14:14: Insgesamt besucht das Team um Jeannette Vilbrandt derzeit 25 Institutionen, in denen sie ihre

00:14:20: Büchertische alle sechs Wochen aufstellen.

00:14:23: Die Betreuung ihrer Kundinnen und Kunden erfolgt dann vor Ort sehr persönlich.

00:14:27: Also wir stellen je nachdem ganz individuell eine Sendung zusammen, entsprechend den Bedürfnissen,

00:14:34: den Interessen der jeweiligen Benutzer, Bewohner.

00:14:37: Da gibt es auch Wunschzettel, die abgegeben werden und wir versuchen natürlich sehr oft

00:14:42: die Wünsche unserer Nutzer einzugehen, stellen dann so eine Woche vorher die Sendung zusammen.

00:14:48: Das sind fünf bis zwölf Körbe je nachdem, wie groß dort der Antrag ist und dann fahren

00:14:55: wir in die Einrichtung.

00:14:57: Die Leute kommen dann, geben ihre gelesenen Sachen ab, suchen sich was Neues aus, versuchen

00:15:03: sich ein bisschen auszutauschen über die gelesene Literatur und geben gegebenenfalls

00:15:08: den nächsten Wunschzettel ab.

00:15:10: Ein Blick auf den thematisch sortierten Büchertisch offenbart schon die besonderen Vorlieben der

00:15:15: Klientel der sozialen Bibliothek.

00:15:18: Ganz links gibt's Romane und Bildbände zum alten Dresden und Sachsens Könige, daneben

00:15:24: ein paar Gesundheitsbücher,Prominente wie Loki Schmidt oder Jürgen Drews.

00:15:29: Romane von Hera Lindt finden sich genauso wie die von Uta Danella.

00:15:34: Heimatromane wie der Bergdoktor oder der Bauerndoktor sind auch zu finden.

00:15:38: Und dann gibt's noch eine Reihe von Büchern, die nicht nur thematisch passen, sondern auch

00:15:44: an die ganz besonderen Probleme der älteren Leserschaft angepasst sind.

00:15:48: Wir haben einen großen Schwerpunkt auf Großdruckliteratur. Natürlich unsere Leserschaft ist schon

00:15:53: betagt und da gibt's ein paar Alterserscheinungen.

00:15:56: Also unter anderem sollte die Schrift auch groß und deutlich sein, da haben wir natürlich

00:16:00: einen großen Bestand.

00:16:02: Wir haben auch viel so, ich sag mal, leichte Literatur, einfache Literatur, weil die Leute

00:16:08: haben ja schon ein bewegtes Leben hinter sich, auch unter anderem einen Krieg und es ist dann

00:16:13: oft so, dass die Nerven schon ein bisschen dünn sind und da sollte es doch schön sein,

00:16:19: was im Buch passiert.

00:16:20: Territorialliteratur ist sehr gefragt, also altes Dresden, neues Dresden, Dresdener Umland

00:16:26: - Geschichte, besonders die alten Ostgebiete, also die Masuren, die Sudeten, Schlesien,

00:16:34: da kommen ja viele von unseren Lesern her, die dann geflüchtet sind, das ist ja so ein

00:16:39: bisschen biografiegetriggert, dieses Gebiet und das findet auch einen großen Andrag.

00:16:45: Da heutzutage kaum noch jemand weiß, welche Regionen zu den alten Ostgebieten zählen,

00:16:50: hängt am Arbeitsplatz von Jeanett Vilbrandt in der Zweigstelle in Pieschen eine alte Karte

00:16:55: aus einer Zeit, als Deutschland noch deutlich größer war und bei der man sich beim ersten

00:17:00: Mal ein wenig wundert, warum die Karte da hängt.

00:17:03: Auf jeden Fall, als ich hier anfing, habe ich auch gedacht, oh mein Gott, was ist das

00:17:07: für eine alte Karte.

00:17:08: Mir hat sich der Sinn dann recht schnell erschlossen, also das ist eine Karte mit den Grenzen des

00:17:16: Deutschen Reiches von 1937 bzw. auch 1918, das hat natürlich mit den Kriegen und der

00:17:23: Geschichte zu tun, weil ein Großteil unserer Leserschaft kommt natürlich aus den alten

00:17:29: Ostgebieten, sprich Ostpreußen, Westpreußen, Pommern, Sudeten, Schlesien und bevor ich hier

00:17:37: anfing, war mir das alles nicht klar, wo das liegt und es war eben alles eine graue Masse

00:17:43: und dadurch, durch diese Karte, hat sich das bei mir als geografisches Bild geformt und ich

00:17:49: brauchte es natürlich auch, um gezielt Literatur auszuwählen.

00:17:53: Wenn mir jemand sagt, ja, ich bin in Masuren aufgewachsen, dann kann ich direkt loslegen,

00:18:01: das ist eine große Hilfe und wir erklären das auch den Azubis und den FSJlern, nicht dass

00:18:07: da mal ein falscher Eindruck entsteht, also das ist ergänzendes Informationsmaterial.

00:18:12: Die Büchertische sind aber nicht einfach nur ein Ort, an dem die älteren Damen und Herren

00:18:16: eine Auswahl an interessantem Lesestoff finden.

00:18:20: Es ist vor allem ein Ort, an dem man sich mit anderen trifft und über Bücher, aber

00:18:24: auch alte Geschichten von früher schnacken kann.

00:18:26: Ja, so Bücher muss es geben und da hab ich manchmal oder ich leg sie hin, ich sagt ihnen

00:18:32: ja schon, wir sind zehn Jahre nach Sylt gefahren, es sind Bücher neun Jahre mitgewandert.

00:18:36: Und dann sind sie dort geblieben, der hat auch Bücher im Schrank, wir kennen ihn ja

00:18:41: gut, und dort sind wir, das ist die Apartmentfamilie, dann gesagt, wissen Sie was, jetzt lass ich

00:18:46: es auf, ich darf es euch, dann macht mit, was ihr wollt.

00:18:48: Sissis letzte Reise, das regt mich auf, dass die arme Sissi umgekommen ist, das darfst du

00:18:53: mitnehmen?

00:18:54: Nein. Auch nicht.

00:18:55: Ja, ein Krimi.

00:18:56: Krimis sind hier.

00:18:57: Ach, Du bist der Krimifan.

00:18:58: Hier stehen die Krimis. Ich geh ja schon.

00:18:59: Wir haben natürlich 90 Prozent weibliche Leser, würde ich sagen, aber wenn ich mal männliche

00:19:08: Nutzer habe, freue ich mich auch sehr.

00:19:11: Die haben dann natürlich ganz andere Interessen und treten auch am Büchertisch anders auf,

00:19:17: also ja doch schüchterner, muss ich sagen.

00:19:20: Aber da hatte ich auch schon einige interessante Biografien.

00:19:24: Und während sie mir die Geschichten einiger älterer Damen und Herren erzählt, offenbart

00:19:29: sich, woher Jeanett Vilbrandts Begeisterung für ihre Aufgabe kommt, dass sie gerade diesen

00:19:35: Menschen Freude und Unterhaltung ins Haus bringen kann.

00:19:37: Das sind alles Zeitzeugen.

00:19:39: Also diese Generation, wenn die ausstirbt, wir werden das nie mehr so hautnah erfahren,

00:19:45: was im Krieg passiert ist, was in der Flucht war, wie schwer die Zeit nach Kriegsende war

00:19:50: mit Kindern und Lebensmittelknappheit, Hunger, Kälte, Frieren.

00:19:55: Ich meine, das zeigt sich dann im Alter.

00:19:58: Die seelischen Wunden, die kommen dann ja halt am Lebensende, aber die Leute haben aufgebaut,

00:20:03: die haben uns die Basis mitgeschaffen für unser Leben jetzt.

00:20:07: Dafür bin ich auch dankbar, das respektiere ich und ja, das versuche ich halt dann in

00:20:12: meiner Arbeit ein bisschen auszudrücken und wertzuschätzen.

00:20:16: Viele der Kundinnen und Kunden verlassen sich auf Jeanett Vilbrandts Empfehlungen, so wie Frau

00:20:21: Späth, die trotz ihrer 94 Jahre aber auch selbst recherchiert.

00:20:26: Die Kollegin hat mir heute drei neue Bücher von der Iny Lorentz empfohlen, die nehme

00:20:32: ich mit.

00:20:33: Also ich habe deren Bücher sehr gern gelesen.

00:20:36: Das hat mich sehr interessiert und deswegen habe ich die drei neuen gleich mitgenommen.

00:20:41: Ich entnehme es den Büchern, die ich ausleihe.

00:20:45: Da steht ja oft hinten Empfehlung, was es noch alles von dem Schriftsteller gibt und die Titel

00:20:54: von denen und die schreibe ich dann auf den Zettel und sie nimmt mir das ab und besorgt

00:20:59: das meiste.

00:21:00: Aber sie weiß, was ich vorziehe.

00:21:03: Das ist ein Ballon zu bauen, da kann sie was machen.

00:21:06: Ja, ich würde ja gerne, das macht er ja nicht.

00:21:08: Ich danke Ihnen vielmals. Bis zum nächsten Mal.

00:21:09: Danke schön. Frau Lessmann.

00:21:10: Bis zum nächsten Mal.

00:21:11: 2. November.

00:21:12: Ich würde das mitnehmen. Ja. Und dann hier eins von denen.

00:21:15: Rosi, mach's gut.

00:21:16: Ja, tschüss. Tschüssi!

00:21:19: Mit den Büchertischen kommen die Städtischen Bibliotheken Dresden ihrer Leserschaft schon

00:21:25: sehr entgegen.

00:21:26: Da es gibt noch einen Dienst, der die Bücher sogar bis in die eigenen vier Wände bringt,

00:21:32: diesen Bücherhausdienst stelle ich euch in der nächsten Folge vor.

00:21:37: Am besten ihr abonniert einfach den Podcast, dann werdet ihr automatisch über die nächste Folge

00:21:41: informiert.

00:21:42: Bis dahin, alles Gute.

00:21:44: Der BücherRausch Podcast ist eine Produktion von Marcus Anhäuser.

00:22:05: Der Titelsong "Please Listen Carefully" ist von Jhazzar.

00:22:09: Mit freundlicher Unterstützung der städtischen Bibliotheken Dresden.

00:22:14: Eine Produktion aus dem Jahr 2022.

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