Leseempfehlung: "Der Wal und das Ende der Welt" von John Ironmonger

Shownotes

Ein Buchtipp von: Selina Pietsch, ehrenamtliche Lesepatin der Städtischen Bibliotheken Dresden

Buchtitel: Der Wal und das Ende der Welt

Autor: John Ironmonger, Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2019

Die vorgestellte BücherRausch-Folge: "Jenseits von Büchern, DVDs und CDs: Die Bibliothek der Dinge". Folge 4 der 3. Staffel.

Die Musik dieser Folge:

Titelmusik: Please, Listen Carefully von Jahzzar

Musik in dieser Folge von Blue Dot Sessions

Produktion: Aufgenommen und produziert von Marcus Anhäuser, Dresden, 2024

Idee und Konzept: Marcus Anhäuser

Mit Unterstützung der Städtischen Bibliotheken Dresden.

Transkript anzeigen

00:00:00: Und ich habe wirklich Seite für Seite ganz genau, ganz langsam gelesen und auch wieder

00:00:03: weggelegt, dass ich noch ein bisschen davon habe.

00:00:05: Und hier habe ich wirklich Gänsehaut bekommen.

00:00:08: Und an dieser Stelle dachte ich, ja, das ist wirklich was Großes, das Buch.

00:00:12: Hier ist der Bücherrausch.

00:00:13: Please listen carefully.

00:00:14: Hallo und willkommen zur ersten Folge der vierten Staffel des Bücherrausch-Podcasts

00:00:24: der Städtischen Bibliotheken Dresden.

00:00:26: Nachdem wir euch in der letzten Staffel die Bibliothek in zehn Folgen vorgestellt haben,

00:00:31: dreht es sich diesmal wieder ganz um Bücher.

00:00:34: Um Lieblingsbücher, nicht nur von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wie in den ersten beiden

00:00:38: Staffeln, diesmal sind auch ganz viele Ehrenamtliche dabei.

00:00:42: Das sind all diejenigen, die unentgeltlich und in ihrer Freizeit dabei helfen, Bücher

00:00:47: und andere Medien den Menschen näher zu bringen.

00:00:49: Als Bücherbote in der Sozialen Bibliothek oder als Lesepatin in einer der Schulbibliotheken.

00:00:56: Eine solche Wegweiserin durchs Reich der Bücher ist auch die ehrenamtliche Mitarbeiterin

00:01:01: in dieser Folge.

00:01:02: Sie stellt einen Roman vor, den sie wirklich liebt.

00:01:05: Ein Buch über den Weltuntergang, der trotzdem motiviert.

00:01:10: Ich wünsche euch viel Spaß beim Zuhören.

00:01:12: Mein Name ist Marcus Anhäuser.

00:01:13: [Musik]

00:01:28: Selina Pietsch heiße ich.

00:01:30: Bin Lesepatin von der Städtischen Bibliothek für erste Klassen.

00:01:34: Bin Mutter zweier Kinder und bin so über das Lesen gekommen, über meine Kinder, weil

00:01:39: ich angefangen habe, dann Geschichten abends vorzulesen und habe mich so sehr in die ganzen

00:01:45: Kinderbücher verliebt, dass die Kinder schon längst eingeschlafen sind und ich als Mama

00:01:49: immer noch weitergelesen habe und habe mich dann wieder so richtig ins Lesen vertieft.

00:01:54: [Musik]

00:02:04: Eine Lesepatin zeigt den Kindern in der ersten Klasse, dass es nicht nur Bücher in der Schule

00:02:09: gibt, sondern auch außerhalb.

00:02:11: Es gibt wirklich einige Kinder, die keine Bibliothekserfahrung haben.

00:02:15: Und die versuche ich dann mit meinen lustigen Büchern und dass man wirklich auch mal basteln

00:02:21: kann und zeichnen kann und was ganz Tolles aus Büchern mitnehmen kann.

00:02:25: Ich mache da mal eine kleine Show draus.

00:02:26: Zeigt denen eigentlich, dass das auch was ganz Tolles ist und ich auch mal allein in

00:02:30: die Bibliothek gehen kann, wenn mir Mama und Papa das erlauben.

00:02:33: Oder mit der Lehrerin und das mal ein bisschen tiefer anzuschauen.

00:02:39: [Musik]

00:02:57: Ich habe ein ganz tolles Buch und zwar ein Roman von John Ironmonger, "Der Wal und

00:03:02: das Ende der Welt".

00:03:03: Der hat mich richtig geflasht, der Roman.

00:03:06: Dieses Buch habe ich bekommen zum Geburtstag vor drei Jahren von einer ganz lieben Freundin

00:03:11: von mir, die leider verstorben ist.

00:03:13: Und ich habe dieses Buch auch wirklich tatsächlich drei Jahre lang gelesen, weil ich Angst davor

00:03:18: hatte, dass es schnell zu Ende ist.

00:03:20: Weil sie hat mir das Buch überreicht und hat gesagt, wenn du das gelesen hast, glaubst

00:03:24: du nicht mehr, dass Zufälle passieren, sondern er wusste einiges, was kommen wird.

00:03:28: Und das hat mich mit diesen Worten von ihr so geflasht, dass ich gesagt habe, okay, du

00:03:34: lässt dir wirklich Zeit für dieses Buch.

00:03:36: Und ich habe wirklich Seite für Seite ganz genau, ganz langsam gelesen und auch wieder

00:03:40: weggelegt, dass ich noch ein bisschen davon habe.

00:03:42: Deswegen hat das wirklich fast drei Jahre gedauert.

00:03:44: John Ironmonger ist ein Schriftsteller, studierte Zoologe und später in der IT-Branche

00:04:14: gelandet.

00:04:15: Er spiegelt sich auch alles in dem Buch wieder.

00:04:16: Er kommt aus England.

00:04:17: Ursprünglich ist er, glaube ich, in Tansania geboren, ist mit 17 dann in England gezogen

00:04:23: und auch dort verweilt und verblieben.

00:04:24: Und er reist ganz viel.

00:04:26: Als Zoologe, denke ich mal, ist das auch berufsbedingt.

00:04:29: Er ist für mich ein Autor und ein Schriftsteller, der ganz in die Tiefe geht, also auch in die

00:04:34: menschliche Seele und auch versucht, mit seinen Worten Denkanstöße zu geben, das auf das

00:04:40: Aktuelle, was man selber gerade erlebt, umzumünzen.

00:04:44: Und das fand ich so beeindruckend.

00:04:46: Das hatte ich bis jetzt bei keinem Buch.

00:04:48: Er kann so bildhaft diese kleinen englischen Vororte beschreiben und diese kleinen Küstenstädtchen,

00:04:56: dass man am liebsten seinen Koffer packen möchte und hinziehen möchte.

00:04:59: Das Erste, was ich in diesem Buch gesagt habe, als ich die ersten paar Seiten gelesen habe

00:05:03: und dieses kleine Städtchen Sandpiran gezeigt wurde, wirklich, wo ich bildhaft gesehen habe,

00:05:09: das Haus sieht so aus und dort ist der blaue Himmel und hier kommen die Wellen an der Küste

00:05:13: hoch, da dachte ich, da ziehst du hin, das möchtest du.

00:05:16: Und ich habe dann auch wirklich tatsächlich recherchiert und geschaut, ob es dieses Städtchen

00:05:20: gibt und es gibt es.

00:05:22: [Musik]

00:05:51: Die grobe Handlung ist, dass man einen Mann am Strand findet, der nackt aufgefunden wird,

00:05:59: wo keiner weiß, warum, wieso, weshalb.

00:06:02: Und das ganze Dorf ein Aufruhrgerät, weil sowas ja noch nie passiert ist.

00:06:06: Und wo kommt der denn überhaupt her?

00:06:08: Mitten übers Meer?

00:06:09: Kann ja eigentlich gar nicht sein, dass der noch lebt.

00:06:12: Er wird im Dorf integriert oder er integriert sich auch selber im Dorf und kurzer Zeit später

00:06:17: wird ein Wal angespült, auf gleiche Weise und auch am gleichen Ort.

00:06:23: Und das ist für die Dorfbewohner, ich meinte 600 sind es nur, ein ganz großes Hypo.

00:06:29: Also die wissen gar nicht, was los ist und hier muss irgendwas passieren.

00:06:32: Das ist noch nie da gewesen, erst ein nackter Mann, dann kommt ein Wal, da muss irgendwas

00:06:37: passieren.

00:06:38: Das Schöne ist, dass alle, die im Dorf leben, auf ihre Art das verarbeiten.

00:06:43: Einer sieht schon das Ende der Welt, der andere denkt, naja, wer weiß, vielleicht hat er Probleme.

00:06:49: Der nächste fragt wieder nicht, er hat sich doch umgebracht.

00:06:51: Der nächste sagt, ja, die Tiere sterben alle aus, deswegen stranden die.

00:06:55: Und diese Charaktereigenschaften von den Menschen sind so herzlich dargestellt, dass man die

00:07:01: Nähe kennenlernen möchte.

00:07:03: Er wird auch so sehr am Dorf aufgenommen, dass er so integriert wird, als würde er

00:07:08: schon immer da leben.

00:07:09: Er selber hat aber noch das Gefühl, ich weiß nicht so richtig, wo ich hin will, warum bin

00:07:13: ich eigentlich hier?

00:07:14: Er hat es ein bisschen ausgeblendet.

00:07:15: Und ja, durch dieses Gefühl, was alle so im Bauch haben, hier muss irgendwas passiert

00:07:22: sein, irgendwas ist hier komisch, geht es sogar in die Richtung wirklich Weltende.

00:07:28: Hier passieren einige Sachen, die das Ende der Welt bedeuten würden.

00:07:34: Und hier passiert wirklich ein Weltuntergangsszenario, ein Hauch von Corona, was er ja 2017 noch

00:07:44: gar nicht abschätzen konnte, dass es das gibt.

00:07:46: Es ist auch wirklich von einer Krippe zu berichten.

00:07:49: Die bringt ganze Dörfer zusammen.

00:07:52: Und es ist sehr deutlich, dass es einen Menschen braucht, der anpackt, der eine Richtung vorgibt

00:07:59: und die anderen ziehen mit, aber auf ihre Weise, sagen, ich gebe es hierhin mit, gebe das Preis,

00:08:05: was ich möchte und ich helfe dir auch bis zu dem, aber weiter kann ich nicht.

00:08:09: Und das ist sehr schön beschrieben in dem Buch.

00:08:11: Alle Personen in dem Buch, und es sind sehr, sehr viele, also wir haben hier zwei Seiten

00:08:38: von Menschen, die in diesem Buch vorkommen.

00:08:39: Und jeder Mensch hat eine eigene Geschichte, die ganz kurz angerissen wird.

00:08:45: Ich habe nur eine kleine Auswahl getroffen.

00:08:47: Also ich habe meine Lieblingsprotagonisten eigentlich aufgezeigt, die für mich immer

00:08:52: wieder, auch wenn ich rückblickend nachdenke, die für mich so eine Bedeutung haben, die

00:08:56: ich eigentlich gerne kennenlernen würde.

00:08:58: Das ist einmal der Joey Hawke, das ist ein Analyst, der kommt aus London, das ist der,

00:09:02: der angespült wurde.

00:09:04: Dann gibt es den Dr.

00:09:05: Mallory Books, das ist ein Arzt, ein sehr interessierter oder interessanter Mann.

00:09:13: Dann gibt es den Lou Kaufman, der ist Bankier.

00:09:17: Dann gibt es einen Reverend Alvin Hawking, er ist Pastor in diesem Dorf.

00:09:22: Seine Frau Polly Hawking, die Pastorenfrau.

00:09:27: Und natürlich, final, der Wahl.

00:09:30: Und als Haupt-Dreh- und Angelpunkt das Petrel Inn.

00:09:34: Das ist ein kleiner Küstenbar, die eigentlich die ganzen Geheimnisse kennt.

00:09:40: Joey Hawke, man erfährt über ihn, dass es ein ganz sensibler Mann ist.

00:09:58: Der hochintelligent ist, der gebraucht wird, der andere braucht, aber der auch eine ganz

00:10:10: bewegte Kindheit hatte.

00:10:11: Und er versucht, sein Leben zu finden.

00:10:17: Also er versucht, einen Punkt zu finden, wo er wieder zur Ruhe kommt.

00:10:22: Es sind Sachen in seinem Leben passiert, die er nicht einordnen kann, warum, die aber durch

00:10:28: das Buch oder am Ende des Buches so ein bisschen Licht ins Dunkel bringen.

00:10:32: Der Arzt, den kann man sich vorstellen, oder ich stelle mir den vor, als so richtigen,

00:10:47: richtiger gestandener Mann, der schon so viel erlebt hat, seine Erfahrungen auch ganz polterisch

00:10:53: preisgibt, aber ein ganz großes Herz hat.

00:10:56: Also der versteht mit Blicken.

00:10:58: Luke Haufmann, das ist ein Tutor von Joey Hawke und er ist auch ein wahnsinnig hochsensibler

00:11:07: Mensch, der es versteht, andere Menschen auszuselektieren, die ihm gut von Nutzen sind.

00:11:13: Aber nicht auf eine Art "Ich nutze dich aus", sondern eher "Ich weiß, was du auf dem Kasten

00:11:18: hast, was du mitbringst und ich versuche dir mal den Weg selber zu zeigen".

00:11:22: Also schau, was ich dir hinlege, nimm es auf und mach das Beste draus.

00:11:27: Der Reverend Alvin Hawking, das ist ein Mensch, den will man eigentlich nicht unbedingt kennenlernen,

00:11:34: aber er hat eine schale weiche Kerne, außen zackig, innen klebrig und seine Frau ist das

00:11:43: ganze Gegenteil von ihm.

00:11:45: Und mir scheint, als wenn sie verheiratet wurden, mussten, sollten und sich irgendwie

00:11:52: doch gefunden haben, aber jeder doch seinen eigenen Weg geht.

00:11:56: [Musik]

00:12:05: Der Finn Wall ist für mich eigentlich fast der Hauptdarsteller, weil der immer mitschwebt.

00:12:10: Meine Leseprobe zeigt das dann, es kommen einem die Tränen, man weiß, wie er aussieht,

00:12:16: man weiß, was er denkt, man spürt sein Wesen, seine Seele und man möchte gern noch mehr

00:12:25: in der Welt retten, um solche Tiere zu schützen.

00:12:28: [Musik]

00:12:57: Also wir sind echt am Anfang, Joey Hawke hat sich im Dorf gut integriert, man kennt

00:13:04: ihn, man kann ihn so ein bisschen schon einschätzen, was er für einer ist, er hat schon gezeigt,

00:13:09: dass er ein ganz herzlicher Mensch ist.

00:13:10: Und jetzt kommt die Stelle, wo der Wall dann strandet, also kurz nach ihm.

00:13:16: Und hier habe ich wirklich Gänsehaut bekommen und an dieser Stelle dachte ich, ja, das ist

00:13:21: wirklich was Großes, das Buch.

00:13:23: Der Titel heißt "Keiner kann so feste ziehen".

00:13:27: Als die Helfer am Strand von San Pieran eintrafen, bestand für kurze Zeit die Gefahr, dass die

00:13:34: Veranstaltung sich in ein Volksfest verwandeln könnte.

00:13:37: Wie durch ein Wunder setzte der Regen aus.

00:13:40: Niemand hatte je zuvor einen Wall gesehen, zumindest nicht aus solcher Nähe.

00:13:45: Und niemand wusste so recht, was man tun sollte, genau genommen nicht einmal, was man versuchen

00:13:50: sollte zu tun.

00:13:51: Kenny Kennett hatte im Angesicht der vertrauten Gesichter seines Heimatortes das Heft aus

00:13:57: der Hand gegeben.

00:13:58: Einige der Jungs versuchten den Wall zu schieben, andere gruben im Sand.

00:14:03: Die meisten standen einfach nur da, vor Unentschlossenheit erstarrt.

00:14:08: Das Ganze war eine Kakophonie des Zauderns.

00:14:11: "Moment, stopp, alle aufhören", hörte sich Joe plötzlich brüllen.

00:14:17: Wäre dieser Aufruf von jemand anderem gekommen, wäre er vielleicht im allgemeinen Chaos der

00:14:24: Anweisungen untergegangen.

00:14:26: Doch dies war die Stimme des Fremden.

00:14:29: Es war eine unvertraute Stimme.

00:14:31: "Wir erreichen gar nichts, wenn jeder etwas anderes macht.

00:14:35: Wir müssen zusammenarbeiten", zustimmendes Gemurmel.

00:14:38: "Weiß jemand denn genau, wann die Flut ihren höchsten Stand erreicht?"

00:14:43: "In zwölf Minuten", kam die überzeugte Antwort.

00:14:46: "Also wir machen es so", sagte Joe.

00:14:50: "Wir graben jetzt alle sieben Minuten lang.

00:14:54: Wir bringen so viel Wasser unter seinen Bauch, wie wir können.

00:14:57: So rutscht er besser.

00:14:58: Und in sieben Minuten schieben wir alle gemeinsam mit den Wellen.

00:15:03: Wir heben ihn raus, okay?

00:15:06: Wer nimmt die Zeit?

00:15:07: Ich mach das", eine der Schüler mit einer Uhr.

00:15:10: "Sagt jede Minute laut an, bis wir bei sieben sind", sagte Joe.

00:15:16: "Alle bereit?

00:15:17: Dann grabt!"

00:15:19: Ein Rudel von Helfern umkreiste den Wal.

00:15:23: Auf allen Vieren fingen sie an, den Graben zu erweitern.

00:15:26: "Hat jemand Seile?", rief Joe.

00:15:28: "Holt sie, schnell!

00:15:30: Ihr habt sieben Minuten.

00:15:31: Und planen, wenn ihr welche findet!"

00:15:33: Mehrere Jungs sprinteten in Richtung Dorf.

00:15:38: Joe ließ sich auf die Knie fallen und beim Graben zu helfen.

00:15:41: Die Flanke des Wals erhob sich bedrohlich über ihm wie eine mit Krebsen übersäte Felswand.

00:15:47: Und vom Kopf bis zum Schwanz waren tiefe, parallel verlaufende Streifen darin eingraviert.

00:15:52: Joes Position hätte sich gefährlich anfühlen sollen, doch aus irgendeinem Grund tat sie

00:15:58: das nicht.

00:15:59: Er schaufelte mit beiden Händen Sand unter dem Bauch des Tieres weg und warf ihn hinter

00:16:05: sich.

00:16:06: Dann noch einmal.

00:16:07: Die Bemühungen kamen ihm jämmerlich vor.

00:16:09: Einer der Jungs von der Farm grob neben ihm.

00:16:13: Gemeinsam wühlten sie sich durch den Sand wie Kaninchen, die einen Bau anlegten.

00:16:16: Mit jeder neuen Welle drängte das Meer, kalt und vielversprechend, in den Freiraum.

00:16:22: Und trotzdem fühlte sich das Unterfangen vergeblich an.

00:16:26: Wie sollten sie es jemals schaffen, ein so großes Tier zum Schwimmen zu bringen?

00:16:29: Sechs Minuten!

00:16:31: "Sechs Minuten!", rief der Zeitnehmer pflichtbewusst.

00:16:35: Als hätte er die Hoffnungslosigkeit des Ganzen bereits verstanden, erzittert der Wal erneut

00:16:41: und blies Wasser aus seinem Atemloch.

00:16:43: Und die Gruppe der Grabenden schrie im Chor.

00:16:46: Das Wasser war kalt und die Hände waren ein unzureichendes Werkzeug.

00:16:51: Als die Fünf-Minuten-Marke ausgerufen wurde, waren Joes Finger bereits taub.

00:16:56: Doch die Dorfbewohner gruben weiter.

00:16:58: Ein Gefühl von Dringlichkeit machte sich breit, von Verzweiflung gar.

00:17:02: "Treiben Sie ihn an!", flüsterte Kenny zu.

00:17:06: "Die mögen Sie.

00:17:09: Weitergraben, alle Mann!"

00:17:11: Das kam ihm grausam vor, weil seine eigenen Hände so wenig Lust zum Graben hatten.

00:17:16: Doch an der gesamten Flanke des Wals kam eine Reihe kniender Dorfbewohner seinem Aufruf

00:17:21: nach.

00:17:22: Demelza Treverick war eine der wenigen, die noch standen.

00:17:26: Sie redete auf den Wal ein.

00:17:28: "Haltet durch", konnte Josie sagen hören.

00:17:30: Sie streichelte ihm das Gesicht.

00:17:32: "Wir holen dich hier raus."

00:17:35: "Ich bezweifle, dass er dich hören kann", sagte Jeremy Mellon.

00:17:39: "Seine Ohren sind nicht für Töne an der Luft gemacht.

00:17:43: Er kann nur Vibrationen unter Wasser hören."

00:17:45: "Er hört meine Vibration.

00:17:47: Stimmt's, mein Schatz?", sprach Demelza den Wal an.

00:17:51: "Nein, tut er nicht."

00:17:53: "Ich beruhige ihn."

00:17:55: "Sie machen das sehr gut", sagte Joe, der auf keinen Fall eine Revolte anfangen wollte.

00:18:00: "Vier Minuten."

00:18:03: Plötzlich erschien es vorstellbar, dass sich unter dem gewaltigen Tier ein schmaler Kanal

00:18:08: aus Wasser bilden könnte.

00:18:10: Niemals genug, damit er darin schwimmen würde, aber vielleicht eine Art Rutschbahn ins Meer.

00:18:15: "Das sieht gut aus", brüllte Joe aufgeregt.

00:18:18: "Grab weiter!"

00:18:19: Er stand auf und eilte zur anderen Seite des Wales, um sich den Stand dort anzusehen.

00:18:24: Hier kniete eine weitere Reihe grabender Helfer, auch hier flogen Sand und Kies.

00:18:31: Diese Seite hatte vielleicht sogar noch tiefer gegraben.

00:18:33: "Hier läuft es super", rief er.

00:18:36: Mit tauben Händen sank er hinab, um weiterzugraben.

00:18:40: "Drei Minuten.

00:18:41: Zwei.

00:18:42: Vorsicht!"

00:18:43: Eine große Welle rollte den Strand hinauf, überspülte den Kanal und erwischte die

00:18:49: Grabenden unvorbereitet.

00:18:51: Der Wal erzitterte bedrohlich.

00:18:53: Joe fehlte einer Entscheidung.

00:18:56: Sie konnten nicht länger warten.

00:18:59: "Alle aufstehen!

00:19:00: Jetzt schieben wir an!"

00:19:01: Es gab keine Einwände.

00:19:03: Kalt, erschöpft und ausgesprochen nass kämpften sich die scharfen Helfern auf die Füße.

00:19:08: In der Ferne war ein Schrei zu hören.

00:19:11: Vier der Jungs aus dem Dorf kamen den Strandweg entlanggelaufen mit einem Gewürf von Seilen

00:19:16: und einem großen Segel.

00:19:18: "Sehr gut, Jungs!"

00:19:19: Das Dorf war zu einer Mannschaft geworden.

00:19:22: Was jetzt folgte, war ein beinahe wundersames Beispiel von Menschen, die mit der Präzession

00:19:28: einer Ameisenkolonie zusammenarbeiteten.

00:19:31: Das Potenzial von Segeltuch und Seilen hatte man sofort erkannt.

00:19:35: Hände machten sich dran, Seile an den Ecken des Segels zu befestigen.

00:19:39: Es war, als hätte man es geprobt.

00:19:42: Das Segel wurde über die Brust des Wals geworfen und in den Sandkanal gezogen.

00:19:47: Da merkt man diese Kraft von den Menschen.

00:19:56: Keiner kannte sich großartig.

00:19:58: Zwei, drei schon.

00:19:59: Aber die wussten sofort, was zu tun ist.

00:20:02: Und alle waren für den Wal da.

00:20:04: Das ist was sehr, sehr Großes, dass er wieder rein bewegt wird ins Wasser und lässt sich

00:20:09: immer mal an der Küste blicken.

00:20:10: Und meistens, wenn Joe am Strand ist.

00:20:13: Irgendwo in der Ferne schwingt er die Fluke.

00:20:18: Er schwebt immer mit in dem Buch.

00:20:20: Und wenn es nur mal über die Geschichte ist, weißt du noch damals.

00:20:23: Und am Ende wird es sehr überraschend.

00:20:27: Es ist wirklich ein Weltuntergangsroman.

00:20:40: Hier spielt auch eine digitale Technik eine große Rolle.

00:20:45: Deswegen auch der Bogen zu John-Iron-Monger, wenn er geschrieben hat.

00:20:48: Er kommt so ein bisschen in der IT-Branche.

00:20:51: Wir sind heutzutage auch nicht weit entfernt, alles in die Technik zu geben, alles ins Digitale

00:20:57: zu geben und dementsprechend auch uns ins Ungewisse zu begeben.

00:21:02: Was passiert denn da eigentlich mit meinen Daten?

00:21:04: Und das ist das Interessante des Buches von 2017.

00:21:09: Woher wusste er das?

00:21:10: Ich will da nicht zu viel verraten.

00:21:13: Das sind Stellen, wo man denkt, oh, das stimmt.

00:21:17: An das hatte ich noch nicht gedacht.

00:21:18: Es ist ein wahnsinnig tolles Zusammenspiel von Umwelt, Politik, Menschheit, Gesellschaft,

00:21:34: sehr gesellschaftskritisch auch.

00:21:36: Aber nie, dass irgendjemand beleidigt wird oder gesagt wird, na, die sind ja doof.

00:21:39: Das ist ja blöd, was die denken.

00:21:41: Und das fand ich so schön.

00:21:43: Es nimmt jeder jeden an.

00:21:45: Und keiner spricht böse über den anderen.

00:21:48: Und jeder sagt, das ist ihre Eigenart.

00:21:50: Wir akzeptieren sie so, wie sie ist.

00:21:51: Und sie nehmen sie auch mit einer Eigenart auf.

00:21:54: Das ist das, was mir heutzutage fehlt.

00:21:56: Menschen werden heute selten mit ihrer Eigenart aufgenommen, sondern sie schweben nicht mit

00:22:02: der Masse mit.

00:22:03: Also ist irgendwas komisch, also müssen wir mal beobachten.

00:22:05: Das ist hier in dem Buch nicht so.

00:22:07: Und dadurch, dass jeder auf seine Art die Eigenart und die Individualität hat, bildet

00:22:12: sich wieder eine große Gemeinschaft.

00:22:14: Und das ist leider übertragen auf jetzt verloren gegangen.

00:22:18: Es gibt keine Streitkultur.

00:22:19: Das heißt, wenn jemand eine andere Meinung hat und sei sie negativ für manche die Meinung,

00:22:24: wird sie nicht akzeptiert.

00:22:25: Der Mensch ist kein Mensch, der wird abgestempelt.

00:22:28: Du gehörst hier nicht her.

00:22:29: Und das ist hier in diesem Buch gar nicht.

00:22:31: Und das vermisse ich.

00:22:32: Als ich die letzte Seite zugeschlagen habe, dachte ich für mich, so müsste die Welt wieder sein.

00:22:37: Es gibt einen Erzähler, einen allwissenden Erzähler.

00:22:58: Manche Sätze muss man schon manchmal mehr lesen, um einfach das Tiefgründige auch zu

00:23:03: sehen.

00:23:04: Aber es ist recht offengeschrieben, also auch menschlich.

00:23:10: Man kann jetzt nicht sagen, man stolpert über schwere Themen, die man erst mal recherchieren

00:23:17: muss und nicht nachvollziehen kann.

00:23:18: Nein, es ist eigentlich recht entspannt zu lesen.

00:23:22: Man kann es sogar vorm Schlafen gehen lesen.

00:23:25: Ich würde den Leuten das Buch empfehlen, die sich sehr gern mit Menschen auseinandersetzen

00:23:39: und Charakteren und allen, die offen sind für andere Sichtweisen.

00:23:46: Natürlich, auf jeden Fall, sofort würde ich das mit auf die Insel nehmen.

00:24:07: Ich würde das sogar jemandem auch hinterher schicken, weil das Buch so eine Kraft gibt

00:24:12: und wieder auf die Menschheit hofft.

00:24:14: Und man denkt, ja, es gibt Menschen da draußen, die würden einem helfen und die helfen auch

00:24:20: einem.

00:24:21: Und irgendwann kommt Hilfe.

00:24:22: Und sich auch selber wieder mobilisieren und motivieren, ich helfe mir jetzt auch.

00:24:27: Ich mache das jetzt einfach, ich ziehe das jetzt einfach durch.

00:24:30: Irgendwann kommt einer, der hilft mir auch und der ist gleichgesinnt.

00:24:34: Ein kleines Motivationsbuch, auch wenn es ein Weltuntergangsbuch ist.

00:24:39: Das war Selina Pietsch, die uns den Roman "Der Wahl und das Ende der Welt" von John

00:24:59: Ironmonger aus dem Jahr 2019 vorstellte.

00:25:02: Die Infos zum Buch findet ihr in den Shownotes.

00:25:05: Das Buch gibt es sicher auch in eurer Bibliothek, egal wo ihr diesen Podcast hört.

00:25:10: Falls ihr die städtischen Bibliotheken in Dresden noch ein bisschen besser kennenlernen

00:25:16: wollt, hört einfach in die dritte Staffel rein.

00:25:19: Dort erfahrt ihr zum Beispiel, was eigentlich eine Bibliothek der Dinge ist.

00:25:25: Bibliotheken sind eigentlich Orte der Stille.

00:25:27: Also nicht mehr in allen Bereichen, aber doch weitgehend.

00:25:31: Es herrscht eine gedämpfte Geräuschkulisse.

00:25:34: Man hört ein leises Flüstern, das Blättern von Buchseiten oder das leise Klackern, wenn

00:25:41: Bücher oder auch CDs ins Regal geräumt werden.

00:25:43: Doch seit einiger Zeit gibt es auch Dinge in der Bibliothek, die so ganz anders klingen

00:25:51: können als das, was man bisher so gewohnt war.

00:25:54: Wie etwa sowas hier.

00:25:56: Oder das.

00:26:02: Oder wie wär's damit.

00:26:05: Das alles sind Geräusche und Töne aus einem noch recht neuen Bereich innerhalb der städtischen

00:26:13: Bibliotheken in Dresden.

00:26:15: Und vielleicht der ungewöhnlichste, zumindest auf den ersten Blick.

00:26:19: Das war ein Ausschnitt aus Folge 4 der dritten Staffel über die Bibliothek der Dinge.

00:26:25: Den Link zur Folge stelle ich Euch in die Shownotes.

00:26:28: Und das war die erste Folge der vierten Staffel des Bücherrausch-Podcasts der städtischen

00:26:33: Bibliotheken Dresden.

00:26:34: Ich hoffe, es hat Euch gefallen.

00:26:37: Empfehlt uns bitte weiter oder bewertet die Folge bei Apple Podcasts oder Spotify oder

00:26:41: wo immer Ihr uns auch hört.

00:26:43: Das war's für heute.

00:26:44: Mein Name ist Marcus Anhäuser.

00:26:47: Bis zum nächsten Mal.

00:26:48:

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