Leseempfehlung: "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" von Milan Kundera
Shownotes
Ein Buchtipp von: Šárka Atzenbeck, Co-Leiterin der Zentralbibliothek Dresden Zentralbibliothek Dresden.
Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, Carl Hanser Verlag, München 1984
Autor: Milan Kundera
Die Musik dieser Folge:
Titelmusik: Please, Listen Carefully von Jahzzar
Musik in dieser Folge von Blue Dot Sessions
Produktion: Aufgenommen und produziert von Marcus Anhäuser, Dresden, 2024
Idee und Konzept: Marcus Anhäuser
Alle Folgen des Podcast finden sich auch auf der Webseite der Städtischen Bibliotheken Dresden.
Transkript anzeigen
00:00:00: Noch mal herzliche Einladung, das Buch zu lesen.
00:00:03: Man wird nicht enttäuscht.
00:00:05: Man findet auch beim mehrmaligen Lesen immer wieder neue Aspekte.
00:00:10: Hier ist der Bücherrausch.
00:00:13: Willkommen zur neuen Folge des Bücherrausch-Podcasts
00:00:24: der Städtischen Bibliotheken Dresden.
00:00:26: Schön, dass ihr dabei seid.
00:00:28: In dieser Folge widmen wir uns einem der bekanntesten Romane der Welt.
00:00:33: Weil die heutige Mitarbeiterin der Bibliotheken,
00:00:36: die uns dieses Lieblingsbuch vorstellt,
00:00:39: aus dem Land des Autors kommt,
00:00:41: liest sie eine Passage aus dem Buch in Deutsch,
00:00:44: aber einen kurzen Ausschnitt auch in ihrer Heimatsprache vor,
00:00:48: dem Tschechischen.
00:00:50: Ich wünsche euch viel Spaß beim Zuhören.
00:00:52: Mein Name ist Marcus Anhäuser.
00:00:54: * Musik *
00:00:56: Ich heiße Šárka Atzenbeck.
00:01:04: Ich bin Tschechin, komme aus der Tschechischen Republik.
00:01:08: Dieses Land hieß damals, als ich nach Deutschland kam,
00:01:11: noch die Tschechoslowakei.
00:01:13: Man kann sich ausrechnen, wie lange ich schon in Deutschland lebe.
00:01:17: Ich bin Leiterin der Zentralbibliothek.
00:01:20: Ich bin keine Bibliothekarin.
00:01:22: Ich bin Bohemistin und Germanistin.
00:01:24: Und als im Jahr 2022 die städtischen Bibliotheken
00:01:28: eine Vertretung für die Leiterin der Zentralbibliothek gesucht haben,
00:01:33: hatte ich mich beworben, habe die Stelle auf Zeit bekommen.
00:01:37: Und jetzt im Moment arbeiten wir in einer Doppelspitze.
00:01:41: Also meine Kollegin Lena Leupner und ich.
00:01:44: * Musik *
00:01:47: * Musik *
00:01:49: Ich habe das Buch "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" ausgesucht.
00:01:59: Im Original heißt das Buch "Nesnesitana Alekhosbiki".
00:02:03: Das Buch erschien im Jahr 1984,
00:02:07: bzw. wurde geschrieben im Jahr 1984.
00:02:12: Es erschien im Exilverlag "68 Publishers" von Josef Sklorecki
00:02:19: und dessen Frau Lena Salivarová in Toronto.
00:02:23: Das war im Jahr 1985.
00:02:26: Die erste offizielle tschechische Ausgabe erschien erst im Jahr 2015.
00:02:33: Das ist sehr interessant.
00:02:36: Es gab diese Samizdat-Literatur,
00:02:39: die in Exilverlagen veröffentlicht wurde.
00:02:42: Das war auch das Schicksal oder die Geschichte dieses Buches.
00:02:47: Es durfte in der Tschechoslowakei nicht veröffentlicht werden.
00:02:52: * Musik *
00:02:54: Man weiß, dass das kommunistische Regime
00:03:04: nach dem Zweiten Weltkrieg an die Macht kam im Ostblock.
00:03:08: Bis 1989, bis zu der Zeit der Revolutionen
00:03:14: in den osteuropäischen Ländern, gab es den eisernen Vorhang.
00:03:19: Menschen, die frei leben wollten, sind häufig emigriert,
00:03:26: also haben die sozialistischen Länder,
00:03:28: die kommunistischen Länder verlassen und zogen Richtung Westen.
00:03:32: Das war auch das Schicksal vieler tschechischer Autorinnen und Autoren,
00:03:37: die entweder nach Deutschland, in die Schweiz, nach Frankreich
00:03:41: oder in die USA und nach Kanada gegangen sind.
00:03:44: Unter anderem auch Josef Skoretzki,
00:03:46: ein sehr bekannter tschechischer Schriftsteller,
00:03:49: der in Toronto, seiner Wahlheimat,
00:03:52: einen Verlag für das Werk seiner Kollegen,
00:03:57: die in der Tschechoslowakei oder auch im Exil gelebt haben,
00:04:01: in Emigration gelebt haben, aber nicht veröffentlichen durften,
00:04:05: also eingerichtet wurde.
00:04:07: * Sanfte Klaviermusik *
00:04:09: Der Autor heißt Milan Kundera,
00:04:31: also für die Deutschen Milan Kundera.
00:04:36: Er wurde am 1. April 1929 in Brno, in der Tschechoslowakei, geboren.
00:04:45: Er gehört zu den bekanntesten tschechischen Schriftstellern.
00:04:52: Der Gegenwart seiner Bücher, konkret das Buch, das ich jetzt vorstelle,
00:04:57: wurde in über 40 Sprachen übersetzt.
00:05:01: Kundera hatte auch Schwierigkeiten mit dem Leben in der Tschechoslowakei,
00:05:07: deshalb emigrierte er nach Frankreich, das war im Jahr 1975.
00:05:12: Er hat noch eine Weile auf Tschechisch geschrieben.
00:05:16: "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins"
00:05:18: ist eines seiner letzten Bücher, die er auf Tschechisch geschrieben hatte.
00:05:23: Weiter hat er dann nur noch auf Französisch geschrieben.
00:05:26: Er selbst hat sich als französischer Schriftsteller
00:05:29: tschechischer Herkunft bezeichnet.
00:05:33: Milan Kundera ist sehr alt geworden.
00:05:36: Er ist letztes Jahr am 11. Juli gestorben, mit 94 Jahren.
00:05:42: Er erzählt sehr viel über das Leben in der Tschechoslowakei,
00:05:47: auch über die Zeit der 60er-, 70er-Jahre,
00:05:50: die Auseinandersetzung der Menschen mit dem Prager Frühling,
00:05:55: mit der Zerschlagung des Prager Frühlings
00:05:57: durch die Invasion der Truppen des Warschauer Paktes.
00:06:01: Er beschäftigt sich auch mit Emigration
00:06:05: und mit dem Leben in einem anderen Land.
00:06:09: Er beschäftigt sich auch sehr, sehr stark mit Philosophie.
00:06:14: Sein Lieblingsphilosoph war Friedrich Nietzsche.
00:06:18: Den findet man in fast allen Büchern von Kundera,
00:06:23: auch in der unerträglichen Leichtigkeit des Seins.
00:06:27: Ich mag Kundera sehr gerne.
00:06:51: Ich finde, dass er ein Meister der tschechischen Sprache ist.
00:06:55: Oder der Sprache überhaupt,
00:06:57: weil er auch später auf Französisch geschrieben hat.
00:07:01: Was eigentlich auch nicht viele Menschen hinkriegen,
00:07:04: so komplexe und komplizierte Gedanken
00:07:07: in einer Nicht-Muttersprache zu formulieren.
00:07:11: Das finde ich schon beachtlich.
00:07:13: Die Übersetzung von Susanna Roth ist wunderbar.
00:07:17: Das hat sie wirklich ganz, ganz toll hingekriegt.
00:07:20: Ich finde, dass sie es auch schafft,
00:07:23: das Buch dem deutschen Leser nahezubringen.
00:07:28: Durch die Sprache eben.
00:07:30: Dass sie dann schon die Besonderheiten
00:07:33: der deutschen Sprache beachtet.
00:07:36: Die Ausdrucksweise im Deutschen schon benutzt,
00:07:39: um die besondere Sprache Kunderas gut zu übertragen.
00:07:45: * Musik *
00:08:10: Das Buch ist ein Roman, unterteilt in sieben Teile.
00:08:16: Man kann nicht mal sagen Kapitel, das sind Teile.
00:08:19: Kundera nennt sie Teile.
00:08:21: Und es geht um Liebe.
00:08:23: Es sind zwei Paare, die sich lieben oder versuchen, sich zu lieben.
00:08:31: Das erste Paar sind Teresa und Domasz.
00:08:35: Und das zweite Paar Sabina und Franz.
00:08:39: Es ist eine Liebesgeschichte, eine persönliche Geschichte
00:08:43: vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und politischer Ereignisse
00:08:48: der 60er-Jahre.
00:08:50: Das Besondere war der Wunsch nach Freiheit,
00:08:55: nach Meinungsfreiheit, Reisefreiheit.
00:08:57: Es gab auch Bestrebungen in der Tschikowskowakai,
00:09:01: das kommunistische Regime ein bisschen aufzuweichen.
00:09:05: Also Sozialismus mit menschlichen Antlitz.
00:09:08: Wie man schon öfter gehört hat, das eben hinzubekommen.
00:09:13: Die Tschechen und Slowaken waren auf einem sehr guten Weg.
00:09:18: Aber dann kamen die Panzer.
00:09:21: Dann kam am 21. August 1968 die Panzer der Truppen
00:09:30: des Warschauer Paktes und haben den sogenannten Prager Frühling zerschlagen.
00:09:35: Das war das Ende aller Hoffnungen.
00:09:38: Es begann die Zeit der sogenannten Normalisierung.
00:10:04: Zu dem ersten Paar, Tomasz und Teresa.
00:10:07: Tomasz ist ein sehr, aus meiner Sicht,
00:10:11: schwieriger oder widersprüchlicher Mensch.
00:10:14: Er arbeitet als Chirurg.
00:10:16: In Prag ist er ein ausgesprochener Frauenheld,
00:10:20: also kann überhaupt nicht treu sein.
00:10:23: Er lernt dann in einem Restaurant Teresa kennen,
00:10:27: die in diesem Restaurant arbeitet.
00:10:29: Beide verlieben sich ineinander und gehen eine Beziehung ein.
00:10:34: Später heiraten sie dann auch.
00:10:36: Aber das hält Tomasz auch nicht davon ab, weiter untreu zu sein.
00:10:40: Also was Teresa sehr zu schaffen macht.
00:10:44: Auf der anderen Seite kann Teresa in Tomasz auch Gefühle wie Liebe,
00:10:50: Fürsorge, Verantwortung wecken.
00:10:53: Deshalb sage ich, dass er widersprüchlich ist.
00:10:56: Er genießt das Leben, diese Leichtigkeit des Lebens,
00:11:00: ist aber auch in der Lage, sich zu ändern.
00:11:03: Und diese Liebe und Fürsorge für Teresa
00:11:07: bringt auch eine gewisse Schwere in sein Leben.
00:11:10: Weil er zum ersten Mal das Gefühl hat,
00:11:12: er ist für jemanden verantwortlich, könnte jemanden verlieren.
00:11:16: Das macht das Leben dann auch vielleicht ein bisschen schwerer.
00:11:21: Hier sind wir auch bei dem Thema oder auch bei Nietzsche,
00:11:26: der immer Gegensätze bedient.
00:11:29: Zum Beispiel Leichtigkeit und Schwere, Dunkel und Hell.
00:11:35: Oder zum Beispiel auch die ewige Wiederkehr,
00:11:40: die Nietzsche auch immer wieder beschreibt.
00:11:43: Die ewige Wiederkehr desgleichen,
00:11:45: das im menschlichen Leben gar nicht so richtig vorkommen kann.
00:11:50: Weil nichts das Gleiche ist.
00:11:54: Die ewige Wiederkehr können wir in der Natur beobachten.
00:11:58: Zum Beispiel die Jahreszeiten, die wechseln sich immer ab.
00:12:03: Oder Ebbe und Flut und solche Sachen.
00:12:06: Aber im menschlichen Leben ist eigentlich alles immer eine Premiere.
00:12:12: Also nie eine Generalprobe.
00:12:14: Das ist dann auch das, was man in dem Buch liest oder findet.
00:12:20: Teresa wirkt auf den ersten Blick schwach.
00:12:23: Sie ist diejenige, die das Schwache verkörpert.
00:12:27: Aber im Laufe des Romans bekommt sie schon eine ziemliche Stärke.
00:12:33: Man muss dazu sagen,
00:12:34: das Paar bekommt Schwierigkeiten mit dem kommunistischen Regime
00:12:38: und entschließt sich dann zu emigrieren.
00:12:41: Beide gehen in die Schweiz und leben dort eine Weile.
00:12:44: In der Schweiz trifft Domasch eine seiner ehemaligen Geliebten,
00:12:49: die Sabina, und setzt diese Beziehung auch zu ihr fort.
00:12:55: Und Teresa findet das heraus
00:12:57: und möchte daraufhin zurück in die Tschechoslowakei.
00:13:01: Und sie bringt Domasch tatsächlich dazu,
00:13:04: wieder aus dieser sicheren westlichen Welt
00:13:09: wieder zurück in die okkupierte Tschechoslowakei.
00:13:12: Also das zeigt schon eine gewisse Stärke.
00:13:19: Wobei man sich die Frage stellen muss,
00:13:22: was diese Stärke dann letztendlich bewirkt oder verursacht hat.
00:13:27: Domasch verliert seine Arbeit als Arzt.
00:13:31: Und beide ziehen gemeinsam aufs Land,
00:13:34: wo sie schwere körperliche Arbeit verrichten müssen.
00:13:38: Auf ihre Art und Weise sind sie frei, leicht und glücklich.
00:13:43: Sie mussten vor allem er,
00:13:45: mussten natürlich sehr, sehr viel auch aufgeben.
00:13:48: * Musik *
00:13:57: * Musik *
00:14:18: Sabina ist auch Tschechin,
00:14:23: eine Künstlerin, die in die Schweiz emigriert,
00:14:26: nach 1968 nach Zürich.
00:14:30: Und dort lernt sie Franz kennen.
00:14:32: Franz ist Wissenschaftler, der an der Uni arbeitet,
00:14:35: ist verheiratet und hat eine Tochter.
00:14:39: Und dieses Paar versucht, einander zu verstehen.
00:14:44: Also ich sage das mit Absicht, also versucht, einander zu verstehen,
00:14:47: weil sie gleiche Begriffe unterschiedlich verstehen
00:14:51: oder ihnen unterschiedliche Bedeutung beimessen.
00:14:55: Zum Beispiel Friedhof.
00:14:58: Für Sabina sind Friedhöfe, sie kennt vor allem böhmische Friedhöfe,
00:15:02: also die wirklich sehr schön sind, sehr grün
00:15:05: und eigentlich fast gärtengleichen.
00:15:09: Und Sabina findet die ganz toll
00:15:11: und findet, dass sie Orte der Ruhe und des Friedens sind.
00:15:17: Und für Franz sind das einfach nur Schutthaufen von Knochen und Steinen.
00:15:22: Also man merkt teilweise auch diese unterschiedliche Sichtweise
00:15:29: der westeuropäischen und osteuropäischen
00:15:33: oder mittelosteuropäischen Welt
00:15:35: oder vielleicht auch der unterschiedlichen Sozialisierung
00:15:38: der Menschen.
00:15:40: Also die einen sind im Kapitalismus aufgewachsen,
00:15:43: die anderen im Sozialismus.
00:15:45: Die haben was mit Menschen.
00:15:47: Interessant finde ich auch
00:15:49: die unterschiedliche Betrachtung des Kommunismus.
00:15:55: Also Sabina flüchtet ja oder flieht vom Kommunismus
00:15:59: aus einer kommunistischen Gesellschaft
00:16:02: in eine für sie freie Welt.
00:16:05: Und Franz als Linksliberaler
00:16:08: begeistert sich für diesen Gedanken, also für den Kommunismus.
00:16:13: Und diese Begeisterung wird ihm dann später auch zum Verhängnis.
00:16:18: Mehr verrate ich nicht.
00:16:21: * Musik *
00:16:39: * Musik *
00:17:02: Es ist eine Stelle fast am Ende des Romans,
00:17:07: wo Theresa und Domasch haben wegen ihrer Schwierigkeiten
00:17:11: mit dem kommunistischen Regime die Stadt, also Prag,
00:17:14: verlassen müssen und ziehen aufs Land.
00:17:18: Und die Stelle beschreibt das Leben auf dem Land
00:17:21: und auch die Vorzüge oder vermeintlichen Vorzüge
00:17:27: für das Paar, das eigentlich vieles verloren,
00:17:32: aber auch einiges gewonnen hat,
00:17:34: also vor allem in der Beziehung.
00:17:37: Aus dem Fenster sah man auf einen Berghang,
00:17:43: der mit alten, knorrigen Apfelbäumen bewachsen war.
00:17:47: Der Horizont darüber wurde von einem Wald begrenzt,
00:17:50: und die Wellenlinie der Hügel verlor sich in der Ferne.
00:17:54: Am Abend stand der weiße Mond am blassen Himmel,
00:17:58: und das war die Zeit, da Theresa auf die Türschwelle trat.
00:18:02: Der Mond hing am noch unverfinsterten Himmel
00:18:05: und kam ihr vor wie eine Lampe,
00:18:07: die man am Morgen vergessen hat auszulöschen
00:18:10: und die den ganzen Tag über in einer Totenkammer leuchtete.
00:18:14: Auf dem Berghang wuchsen knorrige Apfelbäume,
00:18:16: und keiner von ihnen konnte den Ort verlassen,
00:18:19: wo er Wurzeln geschlagen hatte.
00:18:21: Genauso wie Theresa und Domasch,
00:18:23: die nie mehr aus diesem Dorf würden weggehen können.
00:18:27: Sie hatten das Auto, den Fernseher und das Radio verkauft,
00:18:30: um ein kleines Haus mit Garten zu erstehen
00:18:33: von einem Bauern, der in die Stadt gezogen war.
00:18:36: Auf dem Lande zu leben war die einzige Fluchtmöglichkeit,
00:18:39: die ihnen geblieben war, denn hier herrschte dauernd
00:18:42: ein Mangel an Arbeitskräften,
00:18:44: während genügend Wohnraum vorhanden war.
00:18:47: Niemand war daran interessiert,
00:18:49: die politische Vergangenheit derer zu untersuchen,
00:18:52: die bereit waren, auf den Feldern und in den Wäldern zu arbeiten,
00:18:56: und niemand beneidete sie.
00:18:58: Vielleicht hat der Staat die Macht über das Dorf gerade deswegen verloren,
00:19:02: weil niemand hier Wurzeln schlagen will.
00:19:05: Ein Bauer, dem sein Boden nicht mehr gehört,
00:19:07: und der nur noch Feldarbeiter ist,
00:19:09: hängt weder an der Landschaft noch an seiner Arbeit.
00:19:13: Er hat nichts zu verlieren, sich um nichts zu sorgen.
00:19:16: Dank dieser Gleichgültigkeit hat das Land
00:19:19: sich eine beachtliche Autonomie und Freiheit bewahrt.
00:19:22: Der Vorsitzende der Genossenschaft wird nicht von Außenstehenden
00:19:26: und nicht wie alle leitenden Verantwortlichen in den Städten,
00:19:30: sondern direkt von den Dorfbewohnern gewählt.
00:19:33: Er ist einer von ihnen.
00:19:34: Weil alle weg wollten,
00:19:36: hatten Theresa und Domasch dort eine außergewöhnliche Stellung.
00:19:40: Sie waren freiwillig gekommen.
00:19:42: Wenn die anderen jede Gelegenheit wahrnahmen,
00:19:45: um wenigstens einen Tag in den Städten der Umgebung zu verbringen,
00:19:49: so lag Theresa und Domasch an nichts anderem,
00:19:52: als dort zu bleiben, wo sie waren.
00:19:54: Deshalb sind die Dorfbewohner bald besser gehandelt,
00:19:58: als diese sich untereinander.
00:20:01: * Er spricht russisch. *
00:20:03: * Sie sprechen russisch. *
00:20:25: * Sanfte Musik *
00:20:29: * Sanfte Musik *
00:20:56: * Sanfte Musik *
00:20:58: * Sanfte Musik *
00:21:11: Ich finde, dass man hier die Leichtigkeit des Lebens spürt,
00:21:23: trotz schwieriger Umstände.
00:21:25: Und dass es nicht so sehr drauf ankommt, wo man lebt,
00:21:31: sondern mit wem man lebt.
00:21:33: Und auch, wie man mit sich selbst lebt und im Reinen ist.
00:21:39: Natürlich sollte man sich keinem Fatalismus leben
00:21:42: oder nur das nehmen, was kommt, also ohne eigene Wünsche und Ziele.
00:21:47: Aber dass man einfach auch mit dem zufrieden ist, was man hat.
00:21:53: Und dass man das Beste draus machen kann.
00:21:56: Und ich finde, die Beschreibung der Landschaft erinnert mich
00:22:00: schon an die Grenzgebiete hier, also an das ehemalige Sudetenland.
00:22:05: Und das waren eben auch die Gebiete,
00:22:09: die nach dem Krieg wieder besiedelt wurden.
00:22:12: Und wo Menschen nach 1968 auch gerne ihre Zuflucht gesucht haben.
00:22:19: Ich mag diesen Landstrich Tschechiens mit seiner Kulturgeschichte
00:22:24: und all den Spuren und Narben, die dort die Ereignisse
00:22:28: der vergangenen Jahrzehnte und Jahrhunderte hinterlassen haben.
00:22:33: * Musik *
00:22:37: * Musik *
00:22:39: Ja, man muss vielleicht sagen,
00:23:04: dass das Buch keine leichte Lektüre ist.
00:23:07: Aber damit möchte ich niemanden abschrecken,
00:23:10: das Buch zu lesen.
00:23:12: Im Gegenteil, ich möchte alle einladen und ermutigen,
00:23:16: sich mit dem Buch auseinanderzusetzen.
00:23:18: Sich auf das Buch einzulassen, weil es sich lohnt.
00:23:22: Weil das Buch so unheimlich vielschichtig ist.
00:23:25: Eigentlich könnte man jeden Abschnitt einzeln lesen.
00:23:29: Und das wäre eigentlich wie ein Buch im Buch.
00:23:32: Natürlich sind die Teile miteinander verbunden
00:23:36: oder bauen aufeinander auf.
00:23:38: Aber trotzdem, diese Vielschichtigkeit,
00:23:41: die Frage nach der Leichtigkeit bzw. Schwere des Seins.
00:23:45: Es ist ein philosophisches Buch.
00:23:47: Friedrich Nietzsche hatte ich schon erwähnt.
00:23:50: Und es gibt eine persönliche, eine persönliche,
00:23:54: eine persönliche, eine persönliche, eine persönliche,
00:23:59: Es gibt eine persönliche Geschichte
00:24:02: vor dem geschichtlichen oder historischen Hintergrund.
00:24:06: Das finde ich immer sehr spannend.
00:24:08: Man kann natürlich Sachbücher lesen.
00:24:11: Aber in der schönen Literatur hat man dann halt diese Geschichte
00:24:16: und die historischen Ereignisse.
00:24:18: Das wird hier schon richtig gut erfüllt und bedient.
00:24:22: * Musik *
00:25:01: * Musik *
00:25:25: Die Charaktere sind nicht schwarz oder weiß.
00:25:29: Es gibt keine Figur in dem Roman,
00:25:32: die man aus meiner Sicht nur sympathisch oder nur unsympathisch findet.
00:25:38: Also jeder hat etwas an sich,
00:25:40: was man entweder gut oder nicht gut findet.
00:25:45: Zum Beispiel die Theresa.
00:25:47: Die kann einen teilweise schon ziemlich nerven oder ärgern,
00:25:52: wie sie Tomasch anhimmelt und bereit ist, für ihn alles zu tun.
00:25:58: Und auch vieles in Kauf zu nehmen, auch seine Untreue.
00:26:03: Auf der anderen Seite auch ihre Stärke,
00:26:06: wo sie sich durchsetzt und sagt, nein, ich bleibe hier nicht.
00:26:11: Ich möchte zurück in die Tschechoslowakei, weil ...
00:26:15: * Musik *
00:26:17: * Musik *
00:26:21: * Musik *
00:26:31: Die Sprache ist sehr bunt, sehr plastisch.
00:26:46: Auch sehr lyrisch.
00:26:50: Er arbeitet viel mit Träumen.
00:26:54: Die Figuren träumen auch sehr viel.
00:26:58: Ein Teil der Geschichten spielt in Träumen.
00:27:02: Er benutzt sehr viele Metaphern und auch Symbolen.
00:27:07: Wie zum Beispiel eine Krähe.
00:27:10: Eine Krähe kommt in dem Roman immer wieder vor,
00:27:14: als Symbol für irgendetwas.
00:27:17: Zum Beispiel auch der Name vom Hund.
00:27:20: Theresa hat einen Hund, den sie über alles liebt.
00:27:24: Der Hund stirbt dann irgendwann gegen Ende des Buches.
00:27:28: Das bedeutet für sie einen Wahnsinnsverlust,
00:27:31: weil das ein vertrauter, ohnegleichen war für sie.
00:27:35: Dieser Hund heißt Karenin.
00:27:38: Karenin in Anspielung auf Anna Karenina von Tolstoy.
00:27:42: Das ist Kudera.
00:27:45: * Musik *
00:27:48: * Musik *
00:28:17: Noch mal herzliche Einladung, das Buch zu lesen.
00:28:21: Man wird nicht enttäuscht.
00:28:24: Man findet auch beim mehrmaligen Lesen immer wieder neue Aspekte.
00:28:29: Ein Literaturprofessor aus Freiburg hat mal zu uns gesagt,
00:28:34: wenn uns ein Buch zusagt,
00:28:37: oder im Gegenteil, wir ein Buch nicht gut finden,
00:28:41: beziehungsweise keinen Zugang zu diesem Buch finden,
00:28:45: dann ist es wichtig, das Buch regelmäßig zu lesen.
00:28:49: In regelmäßigen Abständen, zum Beispiel mit 20, 30, 40 usw.
00:28:54: Ich habe ein paar Bücher, bei denen ich das wirklich so gemacht habe.
00:28:59: Dieses Buch gehört dazu.
00:29:01: Man liest das Buch jedes Mal mit anderen Augen.
00:29:05: Man befindet sich in einer anderen Lebensphase,
00:29:09: hat andere Freuden oder Sorgen.
00:29:12: Deshalb sollte man das Buch nicht einfach aufgeben.
00:29:17: Auch diejenigen, die schon vor Jahren das Buch gelesen haben
00:29:23: oder versucht haben zu lesen und keinen Zugang fanden,
00:29:28: die würde ich auch einladen, das noch mal zu versuchen.
00:29:32: Das Buch ist für Menschen geeignet,
00:29:35: die sich für das Nachbarland Tschechien interessieren.
00:29:39: Für Kulturmögen, für Philosophie- und Geschichtsbegeisterte
00:29:44: und für alle Menschen,
00:29:47: die über den Sinn des Lebens seine Leichtigkeit oder Schwere nachdenken.
00:30:08: Das war Šárka Atzenbeck,
00:30:10: die uns die unerträgliche Leichtigkeit des Seins von Milan Kundera
00:30:15: aus dem Jahr 1984 vorstellte.
00:30:17: Die Infos zum Buch stelle ich euch in die Shownotes.
00:30:21: Den Roman gibt es sicher auch in eurer Bibliothek,
00:30:25: egal wo ihr diesen Podcast hört.
00:30:27: Das war Folge 8 des Bücherrausch-Podcasts
00:30:30: der Städtischen Bibliotheken Dresden.
00:30:33: Und damit auch die letzte Folge dieser Staffel.
00:30:36: Schaut bitte weiter und bewertet die Folge bei Apple Podcasts,
00:30:40: oder Spotify oder wo immer ihr uns auch hört.
00:30:43: Mein Name ist Marcus Anhäuser. Macht's gut.
00:30:46: Der Bücherrausch-Podcast ist eine Produktion von Markus Anheuser Dresden.
00:31:03: Die Titelmelodie "Please listen carefully" ist von Yhazaar,
00:31:09: mit freundlicher Unterstützung der Städtischen Bibliotheken Dresden.
00:31:15: Eine Produktion aus dem Jahr 2024.
Neuer Kommentar